Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
bald weiterer Regen folgen.
In der Küche hockte Hekibel mit dem Kopf in den Händen auf einem Stuhl. Als Hem eintrat, schaute sie auf und begegnete seinem Blick. Hem sagte nichts, aber Hekibel las ihm die Neuigkeiten am Gesicht ab. Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich ab.
Hem setzte sich Hekibel gegenüber hin. »Ich nehme an, ihr reist ab«, sagte er mit barscher Stimme.
»Ja«, bestätigte Hekibel so leise, dass Hem sie kaum hören konnte.
»Draußen ist eine Überschwemmung. Ich vermute, der Fluss ist über die Ufer getreten.«
»Dann wirst du auch wegmüssen«, meinte Hekibel und drehte sich Hem wieder zu. »Oder wirst du bei Saliman bleiben?«
Hem sah ihr in die Augen, und sie erkannte die Wut in ihm. Hekibel errötete und senkte den Blick auf den Tisch.
»Ich denke, die Frage hätte ich mir sparen können«, meinte sie. »Aber die weiße Krankheit, Hem … sie ist schrecklich, so schrecklich… und es gibt kein Heilmittel.«
»Ich bin ein Heiler«, entgegnete Hem. »Und ich werde ihn nicht verlassen, komme, was wolle. Er ist mein Freund.«
»Wenn hier Hochwasser droht, wirst du ihn woanders hinbringen müssen.« »In den Ställen ist eine Schubkarre, in die ich ihn legen kann. Dann schiebe ich ihn woanders hin. Hinter der Schänke ist das Gelände höher - gewiss gibt es dort einen Kuhstall oder eine Hütte, in der wir Zuflucht finden. Und wenn es nicht wieder zu regnen anfängt, sollte das genügen.«
Hekibel starrte ihn an, und Hem sah Angst, Scham und Pein in ihren Zügen. Darüber erlosch seine Wut und ließ nur blanke Verzweiflung zurück. Es hatte keinen Sinn, zornig zu sein. Was konnten die Schauspieler schon tun, wenn sie blieben, außer so krank wie Saliman zu werden? Außerdem mussten sie sich ohnehin trennen.
»Ihr solltet gehen«, überwand er sich zu sagen. »Saliman würde es auch gutheißen.«
»Aber was ist mit euch?«
»Wir kommen zurecht. Ich habe vor kurzem einen Pfad entdeckt, der bergauf führt, dem werden wir folgen. Na, jedenfalls … das Wasser steigt, also sollten wir uns beeilen, ehe wir festsitzen …«
Hekibel nickte, und Hem rannte nach oben, um sein Bündel zu holen. Er stopfte seine getrockneten Kleider hinein und besorgte rasch ein paar Lebensmittel aus der Küche der Schänke. Danach begab er sich in den Stall, wo Marich und Karim bereits Vorräte von jenen im Wagen abgezweigt hatten. Fenek hockte auf der hinteren Stufe des Wagens und knurrte beklommen das steigende Wasser an. Die Pferde waren angeschirrt, standen bis zu den Koten darin und wirkten elend. Hem nahm die Vorräte an sich und bedankte sich knapp.
Karim räusperte sich. »Das Wasser steigt jetzt unaufhörlich«, sagte er. »Ich weiß«, erwiderte Hem. Er wollte keine Ausflüchte hören. »Nochmals danke für das Essen. Ich nehme mir nur noch die Schubkarre, damit ich Saliman auf höher gelegenes Gelände bringen kann.«
»Hem, es ist nicht so, dass wir nicht bleiben wollen«, ergriff Marich das Wort. »Aber es würde ihm nicht helfen, wenn wir alle krank werden. Ich habe ihn gesehen - er hat die Seuche. Sie ist tödlich, Hem, und er wird sich nicht davon erholen. Niemand tut das.«
Hem begegnete Marichs Blick, dann schaute er weg. Er mochte Marich und konnte dessen Standpunkt sogar verstehen. Was jedoch nicht bedeutete, dass ihn die Entscheidung der Schauspieler nicht verletzte. »Dann lebt wohl.«
»Möge das Licht euren Pfad erhellen«, sagte Marich.
Hem nickte. Ihm war nicht nach einer höflichen Erwiderung zumute, also watete er einfach zu einer großen Holzschubkarre hinüber, die an der Wand lehnte. Sie erwies sich als schwer, und er verspürte einen Anflug von Besorgnis, als er sie zu Boden stellte und hinaus auf den Hof schob, wobei er Marichs Angebot, ihm zu helfen, ausschlug: Wie sollte er Saliman alleine hineinhieven, geschweige denn, ihn über eine größere Entfernung schieben?
Er kehrte noch einmal in den Stall zurück, um die Vorräte zu holen, die er zu ihrem Zelt in die Schubkarre legte, dann ging er in die Schänke, wo sich noch sein Bündel befand. Bevor er ging, nahm er noch ein paar Decken, die auf einem Bett lagen, mit. Danach begab er sich zur Kammer des Pferdeknechts und öffnete die Tür.
Saliman saß mit dem Kopf in den Händen auf dem Bett. Als Hem eintrat, schaute er auf. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er sah fiebrig aus, abgesehen davon wirkte er noch nicht allzu krank. »Hem«, sagte er, »ich bin krank. Geh weg.« »Ich gehe nicht weg«, entgegnete
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