Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Scheune.« »Ich kann laufen«, erwiderte Saliman. »Allerdings fürchte ich, dass ich dich nicht an der Schubkarre ablösen kann.«
»Ich bringe einen Glimmerschleier um uns an. Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir unsichtbar bleiben.« Rasch wob Hem den Bann, dann hob er die Holme der Schubkarre an. Sie schien gut gebaut zu sein, und das Rad drehte sich bereitwillig. Vermutlich würde er damit zurechtkommen. Langsam schob er die Karre vom Hof, ehe er von der Straße auf einen nassen Pfad abbog, der sich hügelaufwärts aus dem ansteigenden Wasser schlängelte. Mittlerweile hatte der Fluss ganz Hiert überschwemmt und flutete bereits in die Häuser.
Kaum hatten sie die Weststraße verlassen, steckte die Schubkarre zum ersten Mal fest. Keuchend zerrte Hem daran, bis das Rad sich mit einem Schmatzlaut aus dem Schlamm löste, dann lehnte er sich erschöpft dagegen. So würden sie es nirgendwohin schaffen.
»Wir sollten die Stiefel anziehen«, meinte er zu Saliman. »Bringt nichts, wenn uns noch kälter wird, als uns ohnehin schon ist.«
Die beiden Barden lehnten sich gegen die Schubkarre und mühten sich mit ihren Socken und Stiefeln ab. Hems Füße waren taub vor Kälte, und er hatte sich die Sohle an einem scharfen Stein aufgeschnitten. Abwesend flüsterte er einen Zauber gegen Entzündungen, während er die Socke überstreifte.
»Es gibt einen Bann, der gegen Steckenbleiben hilft«, sagte Saliman mit heiserer Stimme. Er zitterte. »Ein schlichtes Ding, das wir früher immer beim Haus meiner Großmutter verwendet haben. Ich denke, das müsste ich gerade noch schaffen.« Er flüsterte ein paar Worte in der Hohen Sprache und berührte mit den Fingern so leicht wie möglich die Schubkarre, danach hatte Hem keine Schwierigkeiten mehr. Dennoch war es mühevoll, die Schubkarre den Hügel hinaufzuschieben, und ihm brach der Schweiß aus. Als sie oben ankamen, hielt er inne, um seine schmerzenden Arme auszuruhen.
Von dieser Stelle aus konnte er sehen, wie weit die Überschwemmung durch den Inlan reichte. Inzwischen glich er mehr einem See denn einem Fluss, der seine grauen Finger in jeden tief gelegenen Winkel vorstreckte. Die Espen und Weiden, die den gewöhnlichen Verlauf des Inlan kennzeichneten, ragten nun trostlos aus den Fluten. Die Weststraße stand in der Nähe von Hiert völlig unter Wasser, das bereits einen Fuß hoch über den Türschwellen gegen die Seiten der Gebäude schwappte. Die Abzweigung von der Weststraße, die sie genommen hatten, war schon völlig verschwunden.
»Die Schänke wird mittlerweile überflutet sein. Das Wasser steigt sehr schnell«, sagte Saliman. »Ich denke, wir sind gerade noch rechtzeitig aufgebrochen. Binnen einer Stunde dürfte Hiert hüfthoch überschwemmt sein.«
»Aber es regnet doch gar nicht!«, rief Hem aus. »Warum steigt das Wasser trotzdem an?«
»Das liegt am Regen flussaufwärts, der in unsere Richtung zieht«, antwortete Saliman. »Wenn es noch mehr regnet, wird es eine ernstliche Flut werden.« »Ist sie das denn noch nicht?« Hem betrachtete prüfend den Himmel, der eisengrauen Weiten voll Wolken ohne das geringste Fleckchen Blau glich. »Man kann darauf wetten, dass weiterer Regen bevorsteht«, meinte er.
»Das fürchte ich auch«, pflichtete Saliman ihm bei.
Hem schaute zu ihm hinüber und machte ein entschlossenes Gesicht. Er musste versuchen, Saliman nicht zu häufig anzusehen; es schmerzte ihn. Saliman hatte kein Wort über ihren Marsch den Hügel herauf verloren, doch Hem erkannte auf Anhieb, dass er den Barden erschöpft hatte. Eine dünne Schweißschicht überzog seine Haut, und seine Beine zitterten.
»Wir sollten uns nach einer Zuflucht auf hohem Gelände umsehen«, schlug Hem vor und schaute verzweifelt um sich. Sie befanden sich auf Weideland mit kurzem Gras, gesprenkelt mit Grüppchen kahler Eschen und kleinen Eichen. Entlang des Geländerückens scharten sich Schafe und Ziegen um die Bäume und schmiegten sich aneinander, um sich gegen den beißenden Wind zu schützen, der über die Kuppe wehte. Hem hatte gehofft, ein Bauernhaus oder auch nur eine Hirtenhütte zu finden, doch weit und breit war nichts dergleichen in Sicht. Wahrscheinlich würden sie das Zelt aufschlagen müssen. Im Schutz der Bäume, so dachte er, würde es ihnen auch darin nicht allzu schlecht ergehen.
»Glaubst du, dass du es zur Kuppe des nächsten Hügels schaffen kannst?«, fragte Hem.
»Ich kann es zumindest versuchen«, erwiderte Saliman. »Ich will dir nichts
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