Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
sodass ich keine Fehler begehe? Oder falls du es nicht kannst, wer glaubst du, könnte mir zeigen, was ich tun muss?«
Cadvan erwiderte nichts, aber sie sah, dass sein Zorn abklang. Er seufzte, beugte sich vor und legte weiteres Holz auf das Feuer.
»Den Punkt muss ich dir zugestehen«, meinte er schließlich. »Trotzdem, Maerad, weißt du so gut wie ich, dass es unbesonnen war. Und solche Handlungen können wir uns nicht leisten. Jedenfalls nicht, wenn wir überleben wollen. Mir selbst ist meine Haut recht lieb. Und es gefällt mir gar nicht, dich in einem Zustand wie gerade eben zu sehen.«
Maerad wollte sich nicht erkundigen, wie dieser Zustand ausgesehen hatte. Sie hatte das Gefühl, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.
»Mir gefällt das alles auch nicht«, sagte sie, streckte die Hand aus und ergriff die seine. »Es tut mir leid, Cadvan. Aufrichtig leid.«
»Ich verzeihe dir.« Seine Züge entspannten sich, und Maerad erkannte, dass seine Wut verflogen war. »Ausnahmsweise. Aber bitte, Maerad, falls du so etwas noch einmal machst, dann warn mich zumindest vor.«
»Das verspreche ich. Und vielleicht hatte es ja doch zumindest etwas Gutes; wenigstens habe ich so festgestellt, dass ich kein Vogel werden kann. Vielleicht ist die Gestalt einer Wölfin die einzige, die ich annehmen kann. Hätte ich es unter anderen Umständen versucht, wäre ich womöglich auf ewig mitten in der Verwandlung stecken geblieben.« Ein Schauder lief ihr bei der Vorstellung über den Rücken. »Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn du nicht da gewesen wärst.«
Während Maerad sprach, kam ihr der Gedanke, dass in der seltsamen Welt des Geistes, in der selbst sie sich manchmal verwirrt und verloren fühlte, Cadvan stets zu wissen schien, wie er sie finden und zurückrufen konnte. Woher wusste er es? Dies war die Magie von Elementaren, nicht jene der Barden; und Cadvan beteuerte häufig, nichts von diesen Kräften zu verstehen. Und dennoch: Als der Landrost sie über ihr eigenes Weistum hinausgeschleudert hatte, war es Cadvan gewesen, der sie in den unendlichen Weiten gefunden und zurückgebracht hatte. Nun hatte er sie soeben aus den Qualen der Wesenlosigkeit zurückgerufen und sie daran erinnert, wer sie war. Mit frischer Neugier musterte sie ihn: Offenbar gab es noch viel, was sie nicht über Cadvan wusste.
»Nun, offen gesagt empfinde ich es geradezu als Erleichterung, zu wissen, dass es etwas gibt, wozu du nicht in der Lage bist«, meinte Cadvan. Er bedachte sie mit seinem unverhofften, strahlenden Lächeln. »Du siehst müde aus. Ich übernehme heute Nacht die erste Wache.«
Maerad nickte. Er hatte recht. Die Erschöpfung war zwar nicht so schlimm wie jene, die sie in Inneil erlitten hatte, doch sie war von derselben Art. Maerad wickelte sich in ihre Decke und versuchte, einen gemütlichen Platz zum Schlafen zu finden. Wie immer trauerte sie kurz dem behaglichen Bett nach, das sie hinter sich zurückgelassen hatte, dann jedoch schlief sie rasch ein.
Anfangs lag sie in einem traumlosen Schlummer der Erschöpfung da, aber nach einer Weile begann sie zu träumen. Es waren die alten Albträume, in denen Untote ihre knochigen Hände nach ihr ausstreckten, wobei ihre Augen wie rot glühende Kohlen in der Finsternis leuchteten; dann befand sie sich alleine auf einer riesigen, dunklen Ebene. Das Gefühl von Panik stieg in ihrer Kehle auf. Sie konnte zwar nichts deutlich erkennen, doch sie wusste, dass sie gejagt wurde und sich nirgends verstecken konnte. Dann verlagerte der Traum sich plötzlich zu etwas noch Schlimmerem. Sie war mitten in einem qualvollen Kampf; durch ihren Körper zuckten Schmerzen, die sie aufschreien ließen. Gleichzeitig hetzte sie hinter jemandem her, hinter jemandem, den sie liebte und der in entsetzlicher Gefahr schwebte. Sie folgte ihm eine lange, verwaiste Straße entlang, unfähig, eine Warnung auszustoßen. Hinter sich hörte sie jemanden rufen, und sie drehte sich um: Es war Hem. Er rannte, so schnell er konnte, dennoch schien er stillzustehen. Maerad schrie seinen Namen, aber er hörte sie nicht. Er holte sie ein, und sie wollte ihn berühren, doch etwas hinderte sie daran, die Hand auszustrecken. Dann war er an ihr vorüber und glich schlagartig, so unmöglich es anmutete, einer winzigen, in die Ferne entschwindenden Gestalt. Während Maerad ihn beobachtete, sammelte sich unbeschreiblicher Kummer in ihr. Sie versuchte, ihm zu folgen, aber ihre Beine waren im Boden verwurzelt, und
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