Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Maerad, das Baumlied ist etwas, das die Elidhu betrifft, und das ist mir klar; aber ich würde viel dafür geben, zu wissen, inwiefern es sie betrifft, was ihr Bestreben in dieser Angelegenheit ist.«
»Das Baumlied hat ihnen gehört, und Nelsor hat es gestohlen«, gab Maerad scharf zurück. Allmählich wurde sie ärgerlich. »Mir scheint das recht einfach.« »Und wenn wir es ihnen zurückgeben - vorausgesetzt, wir finden heraus, wie das möglich ist -, was ist dann mit der Hohen Sprache? Werden die Barden auch ihre Magie zurückgeben müssen?«
»Nein, natürlich nicht!«
»Woher weißt du das, Maerad? Ich für meinen Teil bin mir nicht so sicher. Mir scheint durchaus möglich, dass wir, sollte es uns gelingen, das Baumlied zu finden, es den Elidhu zurückzugeben und irgendwie auch den Namenlosen zu zerstören, alles verlieren könnten, was uns Barden ausmacht.«
Maerad schwieg bestürzt. Der Gedanke war ihr noch nie gekommen. »Das ist bestimmt nicht möglich, oder?«, fragte sie unsicher. »Barden in Afinnil hatten die Hohe Sprache doch schon, bevor Nelsor das Baumlied niederschrieb …«
»Ja, hatten sie«, gab Cadvan ihr in schroffem Tonfall recht. »Aber das bedeutet nicht, dass die Hohe Sprache in uns weiterlebt, nachdem wir das Baumlied zurückgegeben haben. Beim Aufheben der Magie, mit der das Baumlied gebannt wurde, geht es nicht einfach darum, sie umzukehren. Gerade du solltest das wissen. Und ich fürchte, was sich alles danach auflösen könnte: Es könnte bis zu den Wurzeln unseres Weistums zurückreichen und unsere Zungen zum Schweigen bringen. Falls du noch nie darüber nachgedacht hast, ist es an der Zeit, dass du es tust. Ich bin bereit, mich dieser Möglichkeit zu beugen, wenn es auf eine Entscheidung zwischen dem und einer weiteren Großen Stille unter dem Namenlosen hinausläuft; allerdings gefällt mir der Gedanke ganz und gar nicht. Wir stehen vor einem Abgrund. Ich denke, selbst wenn wir inmitten all dieser Unsicherheit einen Sieg erringen, könnten wir letzten Endes trotzdem mit leeren Händen dastehen. Was immer geschieht, unsere Welt wird danach nicht mehr dieselbe sein. Das ist kein Spiel, Maerad. Wir gehen ein großes Wagnis ein und könnten verlieren, selbst wenn wir gewinnen.«
Maerad starrte zu Boden und biss sich auf die Lippe. In ihrem Hinterkopf hatte sich hartnäckig die Hoffnung gehalten, dass sie, so alles gut endete und der Namenlose besiegt wäre, einfach eine gewöhnliche Bardin werden und die Überlieferungen Annars und der Sieben Königreiche studieren könnte, an einem Ort wie Inneil oder Gant, der einstigen Schule Dernhils. Der Gedanke, dass ihr Sieg das Ende des Bardentums verheißen könnte, erschütterte sie zutiefst. Cadvan beobachtete sie mit nach wie vor harten Zügen eingehend.
»In Anbetracht dessen, was wir aufs Spiel setzen«, sagte er, »hoffe ich, dass wir zumindest ehrlich miteinander sein können. Meine Hoffnung, Maerad - und das ist gegen die Dunkelheit, die Annar derzeit umfängt, eine sehr kleine Hoffnung -, ruht auf deiner Liebe für Hem und vielleicht für mich und für andere, für deren Freundlichkeit du dankbar bist. Wenn du mich also auf eine aussichtslose Suche führst, finde ich, solltest du so höflich sein, es mir zu sagen.«
Maerad schwieg eine ganze Weile, grübelte über Cadvans Worte nach und überlegte, was sie darauf erwidern sollte. Zweifelte er an ihrer Liebe für ihn? Natürlich liebte sie ihn, natürlich war sie dankbar für seine Freundlichkeit. Sie blickte an seiner Schulter vorbei und sagte ausweichend: »Was meinst du damit?« »Ich meine damit, dass du es mir sagen solltest, falls du mit deinem Weistum glaubst, Hem sei tot.«
Maerad errötete. Sie hätte wissen müssen, dass sie ihre Angst vor Cadvan nicht verbergen konnte. »Ich - ich glaube nicht, dass er tot i s t…«, stammelte sie. »Ich habe nur… « Stockend verstummte sie. »Ich bin nicht sicher«, brachte sie schließlich hervor. »Ich habe diese - Verbindung - schon früher manchmal verloren, was aber nicht bedeutet hat, dass er tot war. Diesmal könnte es genauso sein.« »Aber du hattest einen Albtraum über Hem«, stellte Cadvan nüchtern fest.
»Ja«, flüsterte sie. »Er könnte tatsächlich tot sein. Aber ich bin mir nicht sicher und denke immer noch, dass wir nach ihm suchen sollten.«
Langes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Maerad warf verstohlen einen argwöhnischen Blick zu Cadvan; er starrte mit verschlossenen Zügen ins Feuer.
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