Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Augen zu blicken, aber sie vergrub das Gesicht an seinem Rücken. Wer hat Schmerzen?
Alles brennt, sagte Maerad. Und der Fluss ist rot, ein Fluss voll Blut… Ihre Stimme schien aus immer weiterer Ferne zu dringen, und Cadvan streckte seinen Geist, um sie zurückzuholen. Dann jedoch entglitt sie seinem Griff, als fiele sie, und er wusste, dass er sie nicht mehr erreichen konnte. Körperlich umklammerte sie ihn so heftig, als schwebe sie in Gefahr, von einem unsichtbaren Strom hinfortgerissen zu werden.
Usk, dachte Cadvan. Der Fluss der Tränen. Er war so getauft worden, nachdem der Namenlose das herrliche Land Imbral in Schutt und Asche verwandelt und das Volk der Dhyllin gnadenlos hingemetzelt hatte. Das Katenmoor galt im besten Fall als unwirtlicher Ort; als er und Maerad es zuletzt durchquert hatten, wurde es von einem alten, unauslöschlichen Kummer heimgesucht. Nun, so vermutete er, spürte Maerad jenes längst vergangene Gemetzel, als ereignete es sich in diesem Augenblick, als hätte es in all den tausenden Jahren seit Beginn der Großen Stille nie aufgehört, sich zu ereignen, als wäre die Zeit selbst so tief zernarbt, dass die Schreie nie verstummen würden. Schaudernd richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. Da Maerad es gesagt hatte, bezweifelte er nicht, dass Untote die Brücke bewachten, doch er fühlte keine Spur von ihnen.
Er schaute zu Saliman, der den Gedanken aufgeschnappt hatte. Untote?, fragte Saliman in seinem Geist. Ich kann sie nicht spüren…
Trotzdem, Maerad sagt, sie sind an der Brücke. Aber ich fürchte, diesmal wird sie nicht in der Lage sein, uns zu helfen.
Saliman nickte. Die Barden überprüften ihre Schilde; sie waren überzeugt, dass die Untoten sie mittlerweile bemerkt haben mussten, und rechneten jeden Augenblick mit einem Angriff. Cadvan holte den Schwarzstein unter seinem Wams hervor, umklammerte ihn mit einer Hand und spürte, wie sich jene seltsame Taubheit durch seinen Arm ausbreitete. Rasch und geschickt wob er die Macht des Steins in ihre Schilde ein, um jegliche Hexerei abzulenken, dann wandte er sich seinen Gefährten zu.
»Sollen wir die Brücke überqueren?«, fragte er laut.
Sie nickten, Hekibel eine Winzigkeit nach den anderen. Im fahlen Schein der Makilons schien ihr alle Farbe aus dem Gesicht gewichen zu sein. Ihre Lippen wirkten verkniffen, die Züge entschlossen, und Hem, der sie betrachtete, beschlich der Eindruck, dass sie gerade eine entsetzliche Angst niederrang. Ein plötzlicher Anflug von Bewunderung erfüllte sein Herz: Hekibel, so fand er, war von ihnen allen nicht nur die Wehrloseste, sondern auch die Tapferste.
»Seid vorsichtig«, mahnte Cadvan. »Das Wichtigste ist, den Fluss so schnell wie möglich zu überqueren.«
Sie trieben die Pferde zum Trab an und erreichten bald die Bardenstraße. Das harte Geräusch der Hufe auf dem Stein klang zu laut, und Hem fühlte sich äußerst ungeschützt, als sie rasch auf die Brücke zuhielten, während die Makilons wie gespenstische Führer vor den Pferden schwebten. Er spürte, wie sich Übelkeit in seinem Magen ausbreitete, als sie sich dem Fluss näherten, doch er drängte sie zurück. Es fühlte sich nicht nach Untoten an; tatsächlich konnte er die Gegenwart von Untoten weit und breit nicht wahrnehmen. Vielleicht irrte sich Maerad …
Sobald sie die Brücke betraten, wusste er, dass sie sich nicht geirrt hatte. Am fernen Ende erschien wie aus dem Nichts ein Untoter; gleichzeitig spürte Hem hinter sich Kälte und wusste, dass ihnen der Weg zurück von einem weiteren Untoten versperrt wurde. Sie waren in einen Hinterhalt geraten. Ohne Maerads Warnung wären sie völlig überrascht worden; so wurden die Hexereistöße, die beide Untote auf sie schleuderten, von ihrem Schild aufgefangen, und Hem spürte nur eine kurzzeitige Taubheit, als er sein Kurzschwert aus der Scheide zog, wobei ihm bewusst wurde, dass er keine Ahnung hatte, wie man auf einem Pferd kämpfte, und er bei dem Versuch Keru wahrscheinlich mehr Schaden zufügen würde als sonst jemandem.
Unwillkürlich schaute er zu Maerad und erwartete, dass sie die Untoten auslöschen würde, wie sie es im Hohlen Land getan hatte; aber Maerad starrte nur mit einer Miene, die von blankem Grauen zeugte, in den Fluss hinab. Sie schwankte auf Darsors Rücken, sah aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen, und schien überhaupt nicht gewahr zu sein, dass sie angegriffen wurden. Dann scheute Keru und warf Hem beinahe ab. Er erkannte,
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