Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
während er gegen ein Werwesen kämpfte, das es über die Mauern geschafft hatte und auf den Palisaden gelandet war, wo es sich in eine ansatzweise menschenartige, kraftvolle Gestalt verwandelt hatte. Das Werwesen war ein Hexer gewesen, der gegen Cadvans weißes Feuer mit eigenen dunklen Flammen kämpfte. Während Cadvan sich ihrer erwehrte, spürte er die Raserei in Maerad, und ein Teil seiner selbst fürchtete, dass sie alle, Freund und Feind, vom Fegefeuer ihres Zorns hinweggerafft werden könnten. Dann war das Werwesen plötzlich nur noch eine geisterhafte Erscheinung, grau wie Asche, die sich krümmte und schließlich im Nebel auflöste.
Cadvan wusste sofort, was geschehen war. Er ließ das Schwert fallen und rannte zu Maerad, die zu einem kleinen bewusstlosen Haufen verrenkt an der gegenüberliegenden Mauer lag. Besorgt hob er sie auf und lauschte auf einen Herzschlag. Anfangs nahm er keinen wahr, doch dann fühlte er ihren schwachen, unregelmäßigen Puls und stieß erleichtert den Atem aus. Seine Hände begannen mit dem silbrigen Licht von Magie zu schimmern, und er legte sie ihr aufs Gesicht und sprach ihren wahren Namen.
Erwartete eine lange Weile, aber Maerad blieb blass und reglos. Cadvan holte tief Luft. Er war todmüde und besaß nicht mehr viel Kraft für Magie. Doch in dem Augenblick, als er es erneut versuchen wollte, öffneten sich blinzelnd Maerads Lider, und sie schaute zu ihm auf.
»Cadvan«, stieß sie hervor, ehe sie die Augen wieder schloss. Ihre Stimme erklang so leise, dass er sie kaum zu hören vermochte.
Cadvan erwiderte nichts, sondern streichelte nur ihr Gesicht. Langsam setzte Maerad sich auf. Ihre Augen schimmerten groß und dunkel im Fackelschein, ihre Wangen glitzerten feucht.
»Cadvan«, wiederholte sie. »Ich habe es geschafft. Ich habe ihn zerstört. Oh, ich war noch nie so müde.«
»Ich weiß, dass du es geschafft hast«, sagte Cadvan. »Ich war gerade im Begriff, von einem gewaltigen Ungetüm von einem Werwesen aufgespießt zu werden, als es vor meinen Augen zu Staub zerfiel. Du hast mir das Leben gerettet - wieder einmal. Wie oft inzwischen schon?«
Maerad lächelte matt. »Vier Mal, glaube ich«, erwiderte sie.
»Ich schulde dir einen guten Wein.«
Erneut lächelte Maerad. »Ein Glas Laradhel wäre herrlich«, meinte sie, ehe sie wieder das Bewusstsein verlor. Cadvan hob sich ihren zierlichen Körper auf die Arme und trug sie nach unten zu den Heilern, wobei er eifersüchtig jede angebotene Hilfe ausschlug, obwohl er vor Erschöpfung taumelte.
Als Maerad das nächste Mal die Augen aufschlug, befand sie sich in einem anständigen Bett Inneils mit sauberen Leinenlaken, und vor dem Fenster trällerte freudig ein Singvogel im strahlenden Licht des Tages.
Während Maerad schlief, begannen die Menschen von Inneil mit der Aufgabe, ihre Wunden zu heilen. Die Sonne ging auf, brannte den Nebel fort und offenbarte das zertrampelte Gras und den aufgerissenen Boden vor den Mauern ebenso wie die Sturmschäden überall in Inneil. Abgesehen von schwarzen Kreisen, wo Feuer gebrannt hatten, den Trümmern zersplitterter Belagerungsleitern und weggeworfenen Gegenständen wie zerbrochenen Werkzeugen oder Wasserflaschen, gab es keine Anzeichen auf die Gebirgsmenschen. Sie hatten sich im Schutz der Dunkelheit davongestohlen, als sie erkannten, dass der Landrost besiegt worden war. Ohne seine Macht im Rücken bestand für sie keine Aussicht, einen Kampf gegen die Barden von Inneil zu gewinnen oder auch nur die Banne rings um die Mauern zu überwinden und in die Schule zu gelangen.
Malgorn befahl einigen Soldaten, die Umgebung abzureiten, um sich zu vergewissern, dass die Horden tatsächlich verschwunden waren. Er hegte den Verdacht, dass sie ohne den Schutz des Landrosts Probleme haben könnten, über die Berge in ihre Heimat zurückzukehren, und stattdessen in den Weilern und Dörfern im Gau Verheerung anrichten würden. Nachdem die Soldaten ihrer Spur bis zu den Ausläufern des Osidh Annova gefolgt waren, ohne sie ein einziges Mal zu sichten, kehrten sie zurück. Vermutlich hatte ihnen die Zerstörung des Landrosts eine Heidenangst vor den Barden eingejagt.
Die Menschen Inneils zählten ihre Toten und bahrten sie auf. Es waren nicht so viele, wie in den dunkelsten Stunden der Nacht zu befürchten gewesen war, dennoch herrschte in etlichen Häusern an jenem Tag Trauer. Am Abend lagen einhundertsechsundzwanzig Männer, Frauen und Kinder kalt in der Großen Halle, gehüllt in dunkelrote
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