Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Sibylla. «Deshalb kann ich auch zu den gewohnten Zeiten aufstehen und meiner Arbeit nachgehen.»
Sie setzte sich an den Tisch und aß, ohne Schieren weiter zu beachten, ihre Grütze.
Die nächsten Wochen gingen viel zu langsam vorüber. Sibylla zählte die Stunden, die sie noch mit Schieren unter einem Dach verbringen musste. Sie stürzte sich in die Arbeit für die Fastenmesse, bei der sie wieder mit einem Stand, der von Jahr zu Jahr größer und prächtiger wurde, vertreten war. Diesmal gingen nicht nur Bestellungen für Pelzwaren ein, nein, auch für die Einrichterei gab es mehr als genug zu tun, sodass Sibylla sogar daran dachte, einen Gehilfen oder, besser noch, eine Gehilfin einzustellen. Auch Meister Schulte konnte sich nicht über mangelnde Arbeit beklagen. Die Willmerin hatte Wort gehalten und ihre Freundinnen zu Sibylla geschickt.
Der griechische Stil hatte die Frankfurter Modewelt erobert, und Meister Schulte blieb kaum Zeit für den Kirchgang. Doch auch Sibyllas Rechnung mit der Ausgestaltung des ratsherrlichen Esszimmers war aufgegangen. Die namhaften Frankfurter Familien rannten Sibylla schier die Tür ein, um sich ebenfalls einen Raum im florentinischen Stil herrichten zu lassen.
Und dann endlich war der Abreisetag für Wolfgang Schieren gekommen. Sibylla fühlte sich, als ob eine zentnerschwere Last von ihren Schultern genommen würde. Endlich konnte sie wieder frei atmen, im Haus und in der Werkstatt selbst bestimmen, endlich brauchte sie keine Angst mehr zu haben.
***
An einem lauen Maitag, Meister Schieren war noch nicht lange weg, klopfte es an der Haustür. Barbara war auf dem Markt, und so öffnete Sibylla die Tür. Vor ihr stand ein Mädchen, ein Kind fast noch, und weinte herzzerreißend.
«Ist Meister Schieren zu Hause?», fragte das Mädchen mit zaghafter Stimme. «Kann ich ihn sprechen? Sagt, Sophie sei hier.»
Sibylla schüttelte den Kopf. «Schieren ist auf Monate weg. Eine Reise in die Ostländer. Kein Mensch weiß, wann er wieder kommt.»
Das Schluchzen des Mädchens wurde heftiger. «Oh, Gott, ich bin verloren», weinte sie.
«Kommt erst einmal herein und trinkt einen Becher Wasser», beschwichtigte Sibylla sie. «Und dann berichtet, was Euch zu Meister Schieren führt. Ich bin seine Frau und vertrete ihn in allen Angelegenheiten.»
Das Mädchen sah sie mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an. «Seine Frau seid Ihr?»
«Ja. Was verwundert Euch daran?»
«Aber Ihr seid jung und schön», erwiderte die Kleine schluchzend.
«Na und?» Sibylla lachte. «So mancher Frankfurter hat ein Weib zur Frau genommen, das gut seine Tochter sein könnte. Das ist kein Anlass, überrascht zu sein.»
Sie nahm das noch immer heftig weinende Mädchen am Arm, führte es in die Küche und reichte ihm einen Becher Apfelsaft.
«Da, trinkt das und dann erzählt», forderte Sibylla sie auf und setzte sich ihr gegenüber.
Gehorsam nahm das Mädchen den Becher und trank. Dann wischte es sich mit dem Ärmel das Gesicht trocken und sah Sibylla schweigend an.
«Was ist? Hat es Euch die Sprache verschlagen?», fragte sie.
Die Kleine schüttelte den Kopf und sah betreten auf die hölzerne Tischplatte.
«Ihr bekommt ein Kind, nicht wahr?», riet Sibylla.
Das Mädchen nickte und begann erneut zu weinen.
«Ist das der Grund für Eure Tränen?»
Wieder nickte die Kleine, die fast selbst noch ein Kind war.
«War es Schieren, der Euch geschwängert hat?», hakte Sibylla nach und legte dem Kind beruhigend eine Hand auf den Arm. Das Mädchen zitterte, und ihr ganzer Körper bebte vor unterdrücktem Schluchzen. Endlich nickte sie, wagte es jedoch nicht, den Blick zu heben.
«Wie ist es passiert?», fragte Sibylla und streichelte das Mädchen. «Du kannst Vertrauen zu mir haben. Niemand kennt Schieren besser als ich. Also sag mir, wie es geschehen ist.»
«Ich arbeite im ‹Neuen Heißenstein›», stammelte das Kind. «In der Spielstube am Stadtgraben. Die Wäsche besorge ich dort und helfe abends in der Schankstube aus. Schieren kam jeden Abend. Einmal ist er mir in den Weinkeller nachgestiegen. Er hat mir erzählt, dass ich verbotene Dinge tue und mich strafbar mache, weil ich hier arbeite. In den Turm müsste ich oder gar ins Stadtgefängnis, wenn der Schultheiß erführe, was ich im ‹Neuen Heißenstein› tue. Ich bekam Angst und bat ihn, niemandem etwas zu erzählen. Er sagte darauf, dass sein Schweigen einen Preis hat, den ich zahlen müsste. Dann hat er mich gegen ein Fass gepresst und
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