Die Pelzhändlerin (1. Teil)
Schlaf weckte, schrak Sibylla schweißgebadet hoch. Sie hatte geträumt, von einem Mann im Kostüm einer Krähe, der nach ihren Brüsten griff, sich ihres Schoßes bemächtigen wollte. Immer näher kam sein Gesicht, die Maske fiel herab, und leicht hervorquellende blaue Augen sahen sie voller Bosheit und Gier an. Sibylla hatte geschrien und war davon erwacht. Plötzlich wußte sie wieder, wer sie überfallen hatte. Sie sah die Szene vor sich, als wäre es gestern gewesen.
Sie hatte in der Werkstatt von Meister Sachs gestanden, die Hände bis zu den Ellbogen in der Gerblohe aus Tierkot gesteckt. Und sie hörte ein Gelächter und die Worte: «Seht Euch die Theilerin an. Wie eine Wäscherin hantiert sie in der Beize. Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht.»
Der Gerbermeister hatte darauf erwidert: «Schluss jetzt, Thomas. Ich kann es mir nicht leisten, einen Gesellen zu beschäftigen, der mir die Kundschaft verscheucht. Der geringste Vorfall noch, und du wirst dir einen anderen Meister suchen müssen. Deinen Lohn aber für die nächsten drei Monate wirst du der Theilerin als Schmerzensgeld geben.»
Jetzt wusste Sibylla, wer der Mann war, der ihr in der letzten Nacht Gewalt antun wollte. Und mit wem Schieren neulich vor der Haustür gesprochen hatte.
Schieren, ihr Ehemann, der vor dem Altar gelobt hatte, Freud und Leid mit ihr zu teilen, er selbst hatte Thomas, dem Gerber, den Auftrag erteilt, ihr Gewalt anzutun. «Nimm sie richtig ran», hatte er gesagt, und jetzt wusste Sibylla, was er gemeint hatte.
Vor Scham und Wut traten ihr Tränen in die Augen. Was sollte sie jetzt tun?
Am liebsten hätte sie Schieren vor die Tür gesetzt. Doch wenn sie das tat, wenn sie ihn beim Schultheiß anzeigte, dann musste sie auch den Gerber Thomas nennen. Nein, es war nicht die Furcht vor neuerlicher Rache, die Sibylla innehalten ließ. Es war der Gedanken daran, dass der Gerber damals die Wäscherin in ihr erkannt hatte. Der gesetzliche Weg, sich Genugtuung zu verschafffen, würde ihr verschlossen bleiben. Sie würde den Gerber Thomas strafen, würde ihm zeigen, was mit Männern passierte, die sie schänden und ihr die Ehre rauben wollten. Das schwor sich Sibylla in diesen frühen Morgenstunden des Fastnachtsdienstags in Frankfurt am Main des Jahres 1472. Sie war eine ehrbare Frau, eine verheiratete Handwerksmeistergattin und keine gemeine Wäscherin, keine Pestmarie oder freie Frau ohne Rechte.
Doch sie musste überlegt handeln, und dazu brauchte sie Zeit. Sie würde gründlich nachdenken, wie sie den Gerber strafen konnte und Wolfgang Schieren am besten gleich mit. Es waren nur noch drei Wochen bis zu seiner Abreise, und Sibylla beschloss, zunächst gar nichts zu unternehmen. Sie würde einfach so tun, als wäre sie in der letzten Nacht unbehelligt vom Haus des Ratsherrn Willmer zurück in die Krämergasse gelangt. War Schieren erst weg, hatte sie mehr Handlungsfreiheit. Und wer wusste schon, ob er überhaupt jemals wieder zurückkommen würde?
Sie wickelte ihre Handgelenke, die blau und leicht geschwollen waren, aber nicht mehr so stark schmerzten, aus den Essiglappen, dann stand sie auf, wusch sich und zog ein Kleid mit sehr langen Ärmeln an, die die Handgelenke bedeckten. Dann machte sie sich auf den Weg in die Küche zu Barbara.
«Kein Wort über die letzte Nacht, hörst du?», wies sie die Magd an. «Sprich mit niemandem darüber, was du gesehen hast, und vergiss am besten auch, dass Isaak Kopper mich nach Hause gebracht hat.»
«Aber warum?», wollte Barbara wissen. «In dieser Stadt gibt es Recht und Gesetz. Ihr könnt nicht wollen, dass Euer Peiniger ungeschoren davonkommt.»
«Lass das meine Sorgen sein, Barbara. Ein jeder kriegt, was er verdient. Manchmal aber muss man warten können.»
Auf der Treppe erklangen Schritte, und Sibylla erkannte den leicht schleifenden Gang ihres Mannes. Die Tür öffnete sich, und als Schieren Sibylla erblickte, riss er erstaunt die Augen auf.
«Du in der Küche?», fragte er töricht und gab Sibylla damit den letzten Beweis für seine Mitschuld.
«Natürlich», antwortete sie unbefangen und zwang sich, ihren Mann anzulächeln. «Du selbst warst es, der mich hierher verbannt hat. Was also verwundert dich an meiner Anwesenheit?»
«Nichts, nichts», stammelte Schieren und kratzte sich am Hinterkopf. «Ich dachte nur, dass du heute vielleicht etwas länger schläfst nach der anstrengenden Rosenmontagsnacht.»
«Ich lag gestern pünktlich im Bett», erwiderte
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