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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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mir die Röcke gehoben. Ich habe es geduldet, obwohl es wehgetan hat. Ich muss doch leben, brauche die Arbeit, um Holz und Brot zu kaufen.»
    Die Stimme des Mädchens war tränenerstickt. Sie konnte kaum weitersprechen.
    «Pscht, pscht, beruhige dich», sagte Sibylla leise und tätschelte ihr die Hand.
    «Zwei Wochen später ist meine Periode ausgeblieben. Da bekam ich Angst und schnürte mir den Leib. Doch die Übelkeit macht mir zu schaffen. Immer, wenn ich Branntwein rieche, muss ich erbrechen, und heute Morgen hat mich mein Herr vor die Tür gejagt. Eine Wäscherin, die die Wäsche schmutziger macht, als sie war, und ein Schankmädchen, das sich erbricht, wenn es bedienen soll, kann er nicht brauchen, hat er gesagt.»
    «Und du bist hergekommen, weil du dachtest, Schieren würde dir helfen?», fragte Sibylla.
    Das Mädchen nickte zaghaft. «Er ist doch ein Mann von Ehre, ein Bürger von gutem Ruf.»
    «Pah!» Sibylla lachte laut auf. «Schieren ist ein Schwein», stellte sie mit Nachdruck richtig. «Niemals würde er dir helfen.»
    Bei diesen Worten ließ das Mädchen den Kopf auf die Tischplatte sinken und weinte so herzzerreißend, dass Sibylla beinahe selbst die Tränen in die Augen traten.
    Arme Kleine, dachte sie. Bist eine Wäscherin wie ich, eine freie Frau selbst als Jungfrau schon. Sibylla wusste genau, was in dem Mädchen vorging. Kein Tag, den sie als Wäscherin gearbeitet hatte, war vergessen. Und wie oft hatte sie es erlebt, dass die anderen Mädchen guter Hoffnung waren und vor Verzweiflung ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten, um ihrem Elend zu entfliehen. Armes Ding, dachte Sibylla. So jung du auch bist, so verpfuscht ist schon dein Leben. Keinen frohen Tag wirst du mehr haben und dein Kind ebenfalls nicht. Ein Hurenbalg, ein Bastard wird es bleiben vom ersten bis zum letzten Lebenstag. Sie blickte auf die Hände des Mädchens und erkannte die aufgerissene, spröde Haut und die schmerzenden Risse, die die Seifenlauge hineingefressen hatte.
    Sie spürte die Schmerzen an den Händen, die Scham und die Angst vor dem restlichen Leben, als wäre es gestern gewesen, als lägen zwischen ihrem jetzigen Leben und ihrer Zeit als Wäscherin nicht bereits viele Jahre.
    Sie war noch einmal davongekommen, hatte eine Gelegenheit erhalten, die sie genutzt hatte. Doch dieses arme Ding vor ihr hatte keine Wahl.
    Sibylla erinnerte sich an ihren Schwur, den sie damals in der Kirche, kurz bevor aus der Wäscherin Luisa die Kürschnerstochter Sibylla Wöhler geworden war, geleistet hatte. «Ich will immer reich genug sein, um Gutes zu tun», hatte sie vor Gott geschworen. Jetzt konnte sie das große Glück, das ihr damals in den Schoß gefallen war, teilen. Ja, jetzt war sie so weit, ihren Schwur einzulösen. Für einen Augenblick dachte sie an Martha, ihre Mutter. Mutter, rief sie in Gedanken. Ich bin doch nicht so schlecht, wie du geglaubt hast. Ich werde diesem Mädchen helfen. Für dich tue ich es, für dich, für mich und für Gott, der auch mir damals geholfen hat.
    «Ich gehe ins Wasser», heulte das Mädchen. «Ersäufen will ich mich und das Kind unter meinem Herzen.»
    «Schluss jetzt mit der Heulerei. Davon ist noch nie ein Kummer vergangen», sagte Sibylla streng, um ihre Rührung nicht zu zeigen.
    Das Mädchen fuhr erschreckt auf und sah Sibylla mit angsterfüllten Augen an.
    «Du kannst hierbleiben. Ich brauche eine Gehilfin in meiner Einrichterei. Du kennst dich gut mit Wäsche aus, also wirst du mir die Tischdecken und Kissen nähen und besticken. Kannst du das?»
    Das Mädchen nickte stumm. Ihre Hände streichelten ihren Leib, der bereits leicht geschwollen war.
    «Ich werde dir eine Kammer geben, Essen und Lohn. Bis deine Zeit gekommen ist, werde ich dich anlernen. Wenn es so weit ist, wird dir eine Hebamme bei der Entbindung beistehen.»
    Das Mädchen strahlte über das ganze Gesicht, nahm Sibyllas Hand und bedeckte sie mit Küssen.
    «Lass das», sagte Sibylla. «Sag mir lieber, wie du wirklich heißt! Sophie sicher nicht! Wie alt bist du, und wann wird deine Zeit kommen?»
    «Maria heiße ich, Herrin, und bin 15 Jahre alt. Noch vor der Fastnacht war es, als Schieren zu mir gekommen ist. Im Januar denke ich. Jetzt ist Mai. Das Kind wird wohl im Oktober zur Welt kommen.»
    «Gut, Maria. Mach dir keine Sorgen. Für dich und dein Kind wird gut gesorgt.»
    Sibylla sah einen Augenblick aus dem Fenster, doch ihr Blick schweifte in die Ferne, nahm nicht das Haus auf der gegenüber liegenden Straßenseite

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