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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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in Weinen aus. Sie fühlte sich wie ein verlassenes, mutterloses Kind. Ihr ganzer Körper zitterte, die Schultern bebten. Sie bückte sich, nahm einen Teil des zerrissenen Kleides und presste ihn an ihre Wange, als suche sie dort Trost.
    Jochen sah in ihr Gesicht, das noch wie das eines Mädchens aussah. Mitleid und Rührung zugleich überkamen ihn. Er kniete sich neben sie, zog sie in seine Arme, wiegte sie hin und her wie ein Kind. Langsam beruhigte sie sich.
    «Ich habe mich unziemlich betragen, nicht wahr?», fragte Sibylla nach einer Weile. Sie wusste, dass es ihretwegen Ärger in der Zunft gegeben, wusste, dass sie bereits einiges falsch gemacht hatte.
    Jochen Theiler nickte, nahm einen anderen Kleiderfetzen und trocknete damit ihre Tränen.
    «Ja, das hast du», sagte er. «Du, ein Weib und halbes Kind noch, hast den Altgesellen vor den Kopf gestoßen, hast deine Meinungen und Ansichten verkündet wie Evangelien und gedroht, wem es nicht passe, der könne gehen. Damit hast du uns vor der Zunft lächerlich gemacht, hast letztendlich auch dir damit geschadet. Uns allen hier.»
    «Das wollte ich nicht.» Sie seufzte. Sibylla hätte überlegter gehandelt als ich, dachte sie. Ich muss ihr ähnlicher werden, muss werden wie sie. Sie hätte gewusst, dass es nicht die Aufgabe der Meisterin war, mit Rauswurf zu drohen.
    «Ich weiß», antwortete Theiler und strich ihr sanft über den Rücken. «Doch was hast du erreicht? Der Altgeselle läuft mit vergrätzter Miene durch das Haus, lässt jeden spüren, dass ihm die Lust zum Arbeiten vergangen ist und er lieber in der Zunftstube zum Tratschen säße. Und die Zunft selbst lacht über uns, lacht über die kleine Wöhlertochter, die das Maul aufreißt und die Gesellen kommandiert wie ein Feldherr.»
    Sibylla schluckte. Kaum hörbar wisperte sie: «Es tut mir Leid. Niemand soll über uns lachen.»
    «Willst du wirklich mein Weib werden?», fragte Jochen Theiler, griff in Sibyllas Haar und drehte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen musste. «Wenn du wirklich mein Weib werden willst, dann wirst du mir gehorchen müssen. Du wirst begreifen lernen, dass ich es bin, der für das Wöhlerhaus spricht. Ich bin es, der Entscheidungen trifft, Anweisungen verkündet und dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden. Es geht nicht, dass du dich aufspielst wie ein Mann, dem Altgesellen Anweisungen erteilst und jede Ordnung über den Haufen wirfst. Dein Bereich ist die Küche.»
    Sibylla senkte schuldbewusst den Kopf. Sie wusste ja selbst, dass sie ein wenig über das Ziel hinausgeschossen war; das Verhalten der anderen hatte es ihr gezeigt.
    «Es tut mir Leid», wiederholte sie. «Ich wollte uns nicht ins Gerede bringen, uns nicht zum Gespött der anderen machen.»
    «Ja, ich weiß», nickte Theiler. Die Hand noch immer in ihrem Haar, zog er ihren Kopf an seine Schulter und strich über das lange dunkle Haar, das sich anfühlte wie das Fell eines sehr jungen Tiers.
     
    «Die Zunft hat dir zugesetzt, nicht wahr? Sie hat unsere Verbindung nicht gutgeheißen. Hat sie dir auch die Meisterwürde verweigert?», fragte Sibylla später.
    Theiler seufzte. «Nicht verwehrt, nein. Aber die Meisterstücke, die ich vorlegen soll, sind unbezahlbar. Einen Mantel aus Zobel wollen sie.»
    Sibylla nickte, als hätte sie es geahnt.
    «Sie wollen uns vertreiben. Werkstätten mit vornehmen Pelzen sollen in der Trierischen Gasse bleiben, wir dagegen können in der Neustadt unser Auskommen finden. Unsere Hochzeit und mein unziemliches Betragen dienen ihnen als Vorwand.»
    Sibylla blickte nachdenklich aus dem Fenster der Meisterstube. Sie wollte nicht in die Neustadt zurück, um keinen Preis. Mit Armut konnte sie notfalls leben, nicht aber mit der Verachtung der anderen. Sie mussten die Meisterstücke vorlegen.
    Sibylla stand auf, ging zu einer Truhe, die unter dem Fenster stand, und kramte darin herum.
    Schließlich hatte sie die kleine Kassette gefunden und stellte sie vor Jochen auf den Tisch.
    «Da», sagte sie. «Sieh nach, ob es ausreicht, die Rohware zu kaufen.»
    Jochen stutzte, dann öffnete er die Geldkassette mit dem eingravierten Hund auf dem Boden, Kennzeichen aller Geldschatullen. Sah man den Hund, so war das Geld fast alle. Man war buchstäblich auf den Hund gekommen. Doch in dieser Kassette war der Hund von Gulden bedeckt.
    Sibylla hatte die Schatulle gleich am ersten Abend im Wöhlerhaus gefunden – und versteckt. Man weiß nie, was kommt, hatte sie gedacht. Vielleicht mussten Martha und

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