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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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beiseite. «Außerdem ist er nicht der beste Umgang. Man redet über ihn.»
    «Ammenmärchen», erwiderte Sibylla. «Nur die Dummen glauben, was man sich über ihn erzählt.»
    «Sibylla, was ist bloß aus dir geworden?» Marthas Gesicht war ein einziger Vorwurf. «Ich kenne dich nicht wieder.»
    «Du warst es, die mich hierher gebracht hat», zischte Sibylla und spürte, wie sie wütend wurde. «Du warst es, die wollte, dass ich eine andere werde. Nun bin ich eine andere.»
    «Ja, das bist du. Eine, die mir nicht gefällt, die ich nicht kenne und nicht verstehe.»
    «Ich muss eine Werkstatt führen, bin verantwortlich für alles, was im Haus geschieht. Auch für deinen Lohn. Du bist Wäscherin. Wie willst du verstehen, was für eine Meisterin wichtig ist?»
    Sie hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als sie schon bittere Reue spürte.
    «Verzeih mir, Mutter», murmelte sie leise. «Bitte. Es tut mir so Leid. Ich glaube, manchmal fürchte ich mich vor mir selbst.»
    Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wäre am liebsten ihrer Mutter an die Brust gesunken, hätte sich von ihr trösten lassen. Doch das ging nicht. Nicht mehr. Zu weit hatten sie sich schon entfremdet. Vorsichtig streckte sie die Hand nach Martha aus, flüsterte reuig: «Du bist doch meine Mutter. Bitte, du musst mich doch verstehen.»
    Flüchtig nur streichelte Martha mit ihrer rauen Hand über Sibyllas und erwiderte traurig: «Es fällt mir nicht leicht, dich zu verstehen, Kind. Zu wenig weiß ich von dem, was in dir vorgeht. Und vieles davon würde ich sicher auch nicht verstehen.»
    Wie gerne hätte Sibylla ihrer Mutter jetzt von dem Schatten der Anderen erzählt, von Jochens Kälte, von dem Fellkleid. Wie gern hätte sie sich von ihr in den Arm nehmen und trösten oder raten lassen. Sie sehnte sich so nach der Mutter, die sie früher in Martha gehabt hatte. Doch es war wahr: Es gab so vieles, das Martha nicht verstehen würde. Die Fremdheit zwischen ihnen war nicht zu überbrücken. Zu vieles trennte sie.
    Sibylla blickte Martha an und spürte, wie ihr die Tränen heiß über die Wangen rollten.
    «Ich habe dich lieb, Mutter. Das musst du mir glauben.»
    Martha nickte.
    «Ich dich auch, Kind.»
    Dann drehte sie sich um und ging mit langsamen, schlurfenden Schritten zurück in die Waschküche.
    Lange noch blieb Sibylla auf der Stelle stehen und sah in die Richtung, in die Martha verschwunden war. Sie fühlte Trauer in sich, als ob jemand gestorben wäre, der ihr lieb und teuer war. Aber war es nicht auch so? War Martha, Luisas Mutter, nicht vor langer Zeit schon gestorben und auferstanden als Martha, die Wäscherin des Theilerhauses? Auf einmal wusste Sibylla, dass es kein Zurück mehr gab. Sie konnte nie wieder zurückkehren in die Zeit, als ihre Mutter sie noch tröstete.
     
    Aus dem anderen Zimmer hörte sie Jochen wieder husten. Irgendetwas musste sie unternehmen. Sie machte sich auf den Weg in die Schäfergasse zum Haus von Isaak Kopper. Vielleicht wusste Ida, wo und wie man den Arzt erreichen konnte.
    Marthas Worte lasteten schwer auf ihr. War sie wirklich schuld daran, dass Jochen jetzt so todkrank war? Ja, sie hätte ihn nicht drängen sollen, doch woher hätte sie wissen sollen, dass er eine Lungenentzündung hatte?
    Beim Gehen betete sie: «Lieber Gott, lass Jochen nicht sterben. Lass ihn gesund werden. Hilf mir, lieber Gott. Nur noch dieses eine Mal.»
    In der Schäfergasse bat Ida sie mit einer Handbewegung ins Innere des Hauses.
    «Ida, wisst Ihr, wann Kopper zurückkommt?», fragte Sibylla eindringlich. Ida schüttelte den Kopf und breitete beide Arme mit den Handflächen nach oben aus.
    Kann ich Euch helfen?, hieß diese Geste, und Sibylla verstand.
    «Ach, Ida», sagte sie, im Wissen, dass Ida ihr nicht antworten und demzufolge auch keine Vorwürfe machen konnte. «Ich habe meinen kranken Mann gezwungen, das Bett zu verlassen und in die Werkstatt zu gehen. Nun liegt er auf den Tod darnieder, und ich bin schuld daran.»
    Ida sah sie an und nickte. In ihren Augen las Sibylla nur Aufmerksamkeit, keine Vorwürfe.
    «Angst habe ich, Ida. So große Angst. Er darf nicht sterben. Ich brauche ihn. Die Werkstatt braucht ihn. Gott kann nicht zulassen, dass er wegen mir stirbt.»
    Sibylla schluchzte laut auf und ließ sich von Ida in den Arm nehmen. Mit der knochigen Hand strich die alte Frau Sibylla über den Rücken, trocknete ihr schließlich sogar mit einem Kittelzipfel die Tränen.
    Dann malte Ida mit der Hand ein Fragezeichen in die

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