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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Handynummer ein. Das sind einfache Regeln des Zusammenlebens, und die muss Lisette akzeptieren. Anne wird da unbeirrt mit gutem Beispiel vorangehen. Vielleicht übernimmt Lisette irgendwann ihre Verhaltensweise, ohne sich dabei in die Pflicht genommen zu fühlen. Dann ist sie erwachsen.
    Das Handy ist ausgeschaltet. Anne stöhnt resigniert auf. In der Hinsicht kann sie ihrer Tochter noch nicht einmal Vorwürfe machen. Sie ist selbst ein Handymuffel. Wird Zeit, dass ich mir auch eins anschaffe. Dann könnte ich ihr schreiben. Geschrieben wäre der Telegrammstil einer »Ich-bin-gut-angekommen-Meldung« sicher besser anzunehmen als gesprochen. Immerhin heißt es Kurznachricht, und die Zeichen sind begrenzt.
    Anne zögert, bevor sie Maries Festnetznummer wählt. Es springt nur der Anrufbeantworter an. Sie hasst es, auf ein Band zu sprechen, aber sie überwindet sich nach dem Piep.
    »Hallo, das ist eine Nachricht für Lisette. Ich bin gut in Horumersiel gelandet und unter der Telefonnummer 04426/904274 zu erreichen. Liebe Grüße.«
    Anne atmet erleichtert durch, als hätte sie einen längeren Vortrag gehalten. Und jetzt? Ihr Magen knurrt und erinnert sie daran, dass sie bislang nur gefrühstückt hat. Essen wäre gut. Aber wo? Sie hat keine Lust, so wie sie aussieht, zwischen fremden Menschen zu sitzen. Auf mitleidige Blicke kann sie gut verzichten. Davon abgesehen, kennt sie sich in Horumersiel nicht aus und müsste erst eine passende Gaststätte suchen. Dafür fehlt ihr heute die Energie. Sie fühlt sich erschlagen, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Sattessen und früh wieder ins Bett. Nichts lesen und schon gar nichts schreiben. Nur schlafen. Guter Plan. Leider nicht durchzuführen. Sie findet in ihrer Tasche nur eine angebrochene Rolle Pfefferminz und einen plattgedrückten Müsliriegel. Das wäre ihr mit Lisette unterwegs nie passiert. Da war sie immer gewappnet. Kinder bekommen zu den unmöglichsten Zeiten Hunger oder Durst. Erwachsene auch, denkt Anne, ärgerlich über sich selbst.
    Frau Heinrich. Sie ist den ganzen Abend zu Hause. Und sie hat im Falle eines Falles ihre Hilfe angeboten. Ob es sehr vermessen ist, sich von ihr eine Schnitte Brot zu erbitten? Oder zwei? Annes knurrender Magen wird bei den Überlegungen immer fordernder, und sie wischt letzte Hemmungen beiseite.
    Sie steht gerade auf dem Flur, als andere Gäste durch die Haustür hereinkommen. Ein Pärchen. Sie lachen miteinander.
    Auf halber Treppe begegnen sie sich. Die Frau geht voran und bleibt für einen Augenblick auf der gleichen Stufe wie Anne stehen. Eine zierliche Frau mit hellblauen Augen. Sie blickt eingeschüchtert zu ihr hoch. Die Situation ist Anne vertraut. Frauen sowie Männer gehen meistens einen Schritt zurück, um die Perspektive aufzulockern.
    »Guten Abend oder Moin, wie man hier oben sagt«, grüßt der Mann leutselig und schiebt seine Frau sanft weiter.
    »Guten Abend«, erwidert Anne flüchtig und geht an ihnen vorbei nach unten. Vor dem Privatbereich ihrer Vermieter bleibt sie stehen. Soll sie wirklich? Sicher war das »Allzeit-für-Sie-bereit-Angebot« eine Begrüßungsfloskel und wird selten, wenn überhaupt in Anspruch genommen. Hinter der ersten Tür hört sie einen Fernseher laufen. Die Heinrichs sitzen wahrscheinlich gemütlich vor dem Abendprogramm. Egal, sie will ja keine abendfüllende Unterhaltung, sondern lediglich eine Kleinigkeit zum Essen. Entschlossen geht sie auf die Tür zu, bereit zum Anklopfen. In dem Augenblick wird sie von innen geöffnet. Erschrocken zieht Anne ihre ausgestreckte Hand zurück. Vor ihr steht Tomke Heinrich.
    Anne lächelt verlegen: »Ich möchte Sie nicht stören, aber … ich sterbe gleich vor Hunger und ich habe dummerweise nichts eingekauft. In ein Restaurant mag ich heute nicht mehr gehen. Ich möchte so früh wie möglich schlafen. Wenn Sie eine Schnitte Brot und ein bisschen Belag hätten, das wäre meine Rettung.«
    Während Annes Gestammel zieht sich ein breites Grinsen über Tomkes Gesicht.
    »Kein Problem. Ich rette gerne, wenn Rettung so einfach geht. Kommen Sie mit, nächste Tür links ist die Küche.«
    Anne lächelt erleichtert, ohne sich vom Fleck zu rühren. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Ich bin gleich wieder verschwunden. Schließlich haben Sie und Ihr Mann Feierabend.«
    »Nee, ist schon gut. Sie stören nicht.«
    Nach kurzem Zögern fügt Tomke hinzu: »Ich bin Witwe.«

Kapitel 8
     
     
    Ein langer Spaziergang und der erste Abend im Wangerland

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