Die Pension am Deich: Frauenroman
macht die Salzluft. Aber nach ein paar Tagen bewirkt sie das Gegenteil.«
Er zwinkert Frank verhalten zu. Monika spürt, wie sie rot wird. Als wäre sie ein Teenager, der zum ersten Mal mit seinem Freund verreist ist. Und nicht mit dem Mann, mit dem sie seit über zwanzig Jahren verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat.
In der Pension ist nur ein Fenster im Erdgeschoss beleuchtet. Das Licht flackert diffus, wie das einer Kerze. Als sie nah genug am Haus sind, geht die Lampe eines Bewegungsmelders an. Frank schließt die Haustür auf und verbeugt sich übertrieben tief vor Monika. »Bitte sehr.«
Sie stößt ihm kichernd gegen die Brust: »Du Spinner!«
Das Flurlicht wird angeschaltet. Jemand kommt die Treppe herunter. Eine Frau, schwarz gekleidet. Eine elegante Erscheinung mit wundervollen dichten Locken. Das registriert Monika immer sofort. Ihr eigener Schwachpunkt. Sie hat ganz feines Haar. Es braucht in großen Abständen eine leichte Dauerwelle. Nur die künstliche Fülle verhindert, dass man die Kopfhaut durchschimmern sieht. Monika bleibt für einen Augenblick mit der Anderen auf gleicher Stufe stehen. Sie kann ihr gerade mal auf den Busen schauen. Verwirrt hebt sie den Kopf und sieht ihr ins Gesicht. Das völlig verquollen ist. Sie hat geweint, denkt Monika. Das berührt sie irgendwie. Vielleicht, weil Tränen nicht zu der imposanten Statur dieser Frau passen.
»Guten Abend oder Moin, wie man hier oben sagt«, grüßt Frank die Fremde gut gelaunt. Dabei schiebt er Monika sanft weiter die Stufen hinauf.
»Sie hat geweint. Ob sie in Trauer ist? Immerhin trägt sie Schwarz.« Monika flüstert, obwohl sie sich längst in ihrem Zimmer befinden.
»Meinst du?« Frank zieht skeptisch seine Stirn in Falten. »Und dann macht sie gleich Urlaub?«
»Vielleicht eine Seebestattung?«, überlegt Monika.
»Du hast zu viel Fantasie. Wahrscheinlich ist sie nur erkältet, und schwarz ist ihre Lieblingsfarbe. Die Dame in Schwarz«, witzelt Frank.
»Sie ist eine sehr schöne Frau«, sinniert Monika weiter. Sie ist froh, dass sie einen ungefährlichen Gesprächsstoff gefunden hat.
»Also, mir wäre sie zu groß. Da hätte ich Angst, dass sie mich über die Schulter wirft und in ihre Hütte schleppt«, gibt Frank zu. Monika muss lachen. Das tut gut. Doch dieser Ansatz von Leichtigkeit verfliegt schnell, und sie stehen sich ohne Worte gegenüber. Wann haben sie sich das letzte Mal im gleichen Raum ausgezogen? Zu Hause machen sie sich vorher in getrennten Zimmern bettfertig. In der Woche sogar zu unterschiedlichen Zeiten. Sie können sich wirklich gut aus dem Weg gehen.
Angespannt beginnen sie sich auszuziehen. Jeder auf seiner Seite. Schweigend, als müssten sie sich auf jeden einzelnen Handgriff konzentrieren. Monika ordnet ihre Kleidungsstücke sorgsam. Man könnte meinen, sie hätte keine Wechselwäsche im Gepäck und wäre darauf angewiesen, ihre Garderobe knitterfrei zu halten. Die angestaute Energie im Zimmer hat nichts Erotisches. Sie ist unerträglich beklemmend.
»Willst du als Erste ins Bad?«, fragt Frank.
»Nein, geh du ruhig zuerst«, bietet ihm Monika hastig an. Dabei gesteht sie sich die stille Hoffnung ein, dass er schon eingeschlafen ist, wenn sie aus dem Bad zurückkommt.
Er ist schnell fertig. Monika lässt sich Zeit. Sie bleibt im Schlafanzug mit geputzten Zähnen auf der Toilette sitzen. Tränen kribbeln ungeweint an ihren Augenrändern. Endlich rafft sie sich auf und geht zu ihm.
Im Zimmer brennen beide Nachttischlampen. Frank sitzt im Bett und hat ein Buch aufgeschlagen. Sonst liest er doch abends nicht mehr, denkt Monika gereizt. Warum schläft er nicht einfach? Frank schaut ihr entgegen und legt sein Buch auf den Nachttisch.
»Lies ruhig weiter. Ich will auch noch unbedingt ein Kapitel zu Ende lesen«, sagt sie, ohne ihn dabei anzuschauen. Sie setzt sich auf ihre Seite an das Kopfende. Die Decke fest um sich gewickelt, schlägt sie ihr Buch auf. Franks Hand sucht ihre, umschließt sie warm. Dabei liest er weiter. Beim nächsten Seitenwechsel lässt er sie los. Monika starrt in ihr Buch und kann keine Zeile lesen. Sie kann sich und Frank hier sitzen sehen. Jeder unter seiner eigenen Decke, jeder hinter einem Buch versteckt. Nur wenige Zentimeter voneinander getrennt und doch meilenweit entfernt. Allein.
Monika lächelt bitter. Das ist einfach gemein. Wie glücklich waren sie vor nicht allzu langer Zeit über einen ungestörten Abend. Im Urlaub hatten sie selten einen für sich.
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