Die Pension Eva
wunderschöne junge Frau. Als er den Blick starr auf das Waschbecken richtete, gelang es ihm, klar zu denken.
»Also, wenn du in Trani bist, wirst du Besuch bekommen …«
Er brachte vor, was er zu sagen hatte, klar und deutlich. Dann sah er Tatiana an. Er wollte sich erheben, aber er war wie erstarrt.
»Gut dann, das ist alles. Jetzt gehe ich wieder und …«
Aber er schaffte es einfach nicht, aufzustehen. Sein Verlangen, die junge Frau zu berühren, war offensichtlich, aber es kam ihm unredlich vor, eine Genossin, auch wenn sie eine Hure war, um diesen Dienst zu bitten. Er war wegen einer Parteiangelegenheit zu ihr gekommen, sonst nichts.
»Nein«, sagte die junge Frau resolut.
Tatiana konnte ihn doch nicht einfach wieder gehen lassen, einen Genossen, der so lange Zeit keine Frau mehr angerührt hatte! Und außerdem hatte sie eine Überraschung für ihn vorbereitet. Sie stand auf, zog ihm das Jackett aus, dann die Krawatte, danach bückte sie sich, um ihm die Schuhe auszuziehen und die Socken und Unterhose abzustreifen. Erst da gelang es Manzella aufzustehen. Tatiana erschrak fast ein bisschen vor dem, was sie sah: Sie fürchtete, seine Männlichkeit könne jeden Moment platzen wie ein Granatapfel, so angeschwollen war sie. Er hielt die Augen geschlossen, denn sicher wollte er vermeiden, zum Ende zu kommen, noch bevor das Vergnügen überhaupt begonnen hatte. Er keuchte.
»Nur einen Augenblick, mach die Augen zu!«, sagte Tatiana.
Sie drehte sich um und nahm aus der Tasche ihres Morgenmantels einen Gegenstand, den ihr Vater ihr gegeben hatte und den sie immer heimlich bei sich trug. Sie zog sich aus, und als sie sich aufs Bett legte, sagte sie lachend:
»Jetzt mach die Augen auf und sieh mich an!«
Er öffnete die Augen und staunte.
Auf Tatianas gekräuselter Scham lag ein kleines rundes Medaillon mit rotem Bändchen und einer farbigen Fotografie des Genossen Stalin: mit Schnauzbart, Militärmütze und Duckmäuserblick!
Er, der unbesiegbare Feldherr, der höchste Anführer! Er!
Und es war, als wollte er dem Rechtsanwalt Manzella sagen:
»Genosse, zeig mir, was du kannst!«
Tatiana fing an, leise zu singen:
»Voran du Arbeitsvolk! Du darfst nicht weichen!
Die rote Fahne, das ist dein Zeichen!«
Zu ihrer Überraschung wurde der rotviolette Granatapfel mit einem Mal blassgelb und schrumpfte zusehends, bis er schließlich winzig klein geworden war und schlaff herunterhing.
Den Tränen nahe, legte Tatiana das Medaillon beiseite und tat alles, was sie konnte, um die Stimmung zu retten. Aber es gelang ihr nicht.
Und was soll man von dem halten, was an jenem Montag passierte, als Signora Flora nicht bei Tisch war, weil sie ihre schwerkranke Schwester in Palermo besuchte?
An diesem Montag, der später als »der epische Abend« oder auch als »der Abend der Verwandlungen« in die Annalen eingehen sollte, trafen mindestens drei glückliche Umstände zusammen.
Zunächst brachte Jacolino – man fragte sich, wie er immer an Lebensmittel aus Deutschland kam (eigentlich wusste man es sehr wohl, denn sein Vater hatte ja guten Kontakt zu den Deutschen) – an jenem Abend zwei Flaschen grünen Likör in die Pension Eva mit. Keiner wusste, was das für ein Zeug war. Trank man nur einen winzigen Schluck davon, brannte einem davon die Kehle. Dieser Likör, der offenbar mit hochprozentigem Wein gemischt war, machte einen derart betrunken, dass man sich erst drei Tage danach davon erholte.
Zudem hatte Nenè zufällig den Rasenden Roland dabei, den ihm ein Freund zurückgegeben hatte, kurz bevor Nenè in die Pension Eva ging.
Und schließlich war die Zusammensetzung der Huren äußerst überraschend. Denn von den sechs am Vorabend eingetroffenen Mädchen sahen fünf aus, als wären sie Schwestern. Sie sprachen sogar denselben Dialekt. Sie waren allesamt untersetzt, hatten einen großen Busen und einen breiten Hintern und sahen aus wie richtige Landpomeranzen, die an harte Feldarbeit gewöhnt waren. Oft gebrauchten sie schmutzige Ausdrücke (normalerweise taten das die Mädchen nur vor den Kunden) und waren ohne weiteres zu allen Schandtaten bereit. Das sechste Mädchen dagegen war hochgewachsen und rothaarig, schön und zurückhaltend.
Als das hübsche Mädchen, das in der Pension auf den Namen Giusi hörte, das Buch sah, das Nenè auf dem Tisch abgelegt hatte, nahm sie es in die Hand.
»Ach, der Rasende Roland! « , sagte sie.
Nenè wurde neugierig.
»Kennst du das Buch?«
»Ja. Wir haben es in der Schule
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