Die Pension Eva
Antonio Manzella gerade zwei Tage zuvor auf freien Fuß gesetzt worden war? Das faschistische Sondergericht hatte ihn zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er einer kommunistischen Zelle angehörte.
Nun muss man wissen, dass diese Teresa, eine lebenslustige Frau um die dreißig, einen Vater hatte, der seit acht Jahren im Gefängnis saß, weil er Kommunist war. Sie selbst hatte als überzeugte Kommunistin eine große Wut im Bauch. Heimlich diente sie der Partei. Da sie alle vierzehn Tage in eine andere Stadt zog, nutzte sie die Gelegenheit, wohin sie fuhr, geheime Briefe und Befehle mitzunehmen, die sie den Genossen überbrachte. Wer dachte schon, eine Hure sei Kommunistin?
Zwei Tage nachdem sie in der Pension Eva eingetroffen war, zeigte sie sich den Gästen spärlich bekleidet im Salon. Ein Kunde fragte sie nach ihrem Namen.
»Tatiana.«
»Gehen wir.«
Kaum waren sie im Zimmer, zog Tatiana sich den Schlüpfer aus, als der Kunde, ein ernsthaft blickender Mann um die vierzig, schwarz gekleidet, mit Brille, die Hand hob und sagte:
»Warte. Ich habe einen Verwandten in Reggio Emilia.«
Das war der Erkennungssatz. Tatiana setzte sich aufs Bett, der Mann blieb stehen.
»Morgen kommt ein Genosse bei dir vorbei. Er ist nach vier Jahren Zuchthaus wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Ich habe gehört, dass du, wenn du hier fertig bist, nach Trani weiterfährst. Stimmt das?«
»Ja.«
»Gut, das ist ein glücklicher Zufall, denn er hat wichtige Informationen für die Genossen in Trani. Aber Vorsicht, du musst ihm ein Zeichen geben, damit er dich erkennt. Er kann dich nicht einfach nach deinem Namen fragen, das wäre zu auffällig.«
»Und wie erkenne ich ihn?«
»Ihm fehlt die Kuppe seines linken kleinen Fingers. Ach ja, und wunder dich nicht, wenn er … du musst verstehen, er hat seit vier Jahren keine Frau angerührt …«
»Ist er nicht verheiratet?«
»Er war verheiratet, aber seine Frau ist gleich nach seiner Verhaftung aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen – als hätte sie’s nicht abwarten können. Wir glauben, dass sie es war, die ihn angezeigt hat, aber beweisen können wir es nicht.«
Sie blieben noch ein paar Minuten still im Zimmer sitzen, dann warf Tatiana das Bettzeug durcheinander und wusch sich die Hände, sodass das Zimmermädchen keinen Verdacht schöpfte und merkte, dass Tatiana mit dem Kunden nur geredet hatte. Sie gingen die Treppe hinunter, der Mann bezahlte drei Lire fünfzig für »einfach«, und Tatiana empfing den nächsten Kunden.
In der Nacht wachte Tatiana auf. Sie dachte an den Mann, den sie am nächsten Tag kennenlernen würde und der vier Jahre im Zuchthaus gesessen hatte. Sie dachte auch an ihren Vater, der schon doppelt so lang im Zuchthaus saß und noch zwei Jahre vor sich hatte. Sie war ergriffen, und sie nahm sich vor, diesem Mann, der morgen kommen würde, eine schöne Überraschung zu bereiten.
Am folgenden Abend erkannte sie ihn sofort unter den zehn Kunden, die dort saßen und sich für eins der Mädchen entscheiden mussten. Obwohl viele Menschen im Raum waren, wirkte er einsam, als befände er sich ganz woanders. Er sprach mit niemandem, er lachte nicht über die schweinischen Witze, die ein anderer laut erzählte. Er rauchte mit der linken Hand, und man konnte genau erkennen, dass ihm am kleinen Finger die Kuppe fehlte. Tatiana verlor keine Zeit. Sie stellte sich etwas breitbeinig vor ihn hin, den Morgenrock fast ganz geöffnet. Eine Hand steckte sie in ihr Höschen, als berührte sie sich, mit der anderen fasste sie sich an den Busen.
»Wer bist du?«, fragte sie laut. »Mir ist gleich ganz heiß geworden, als ich dich gesehen habe. Komm, lass uns nicht länger warten.«
Der arme Mann – der Rechtsanwalt Manzella – wurde vor Verlegenheit ganz rot. Tatiana reichte ihm die Hand, er nahm sie, erhob sich vom Sofa und folgte ihr die Treppe hinauf.
Als sie im Zimmer waren, setzte er sich erst einmal. Er fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Der Anblick eben hatte seine Wirkung getan: Seit vier Jahren hatte Manzella keine nackte Frau gesehen.
»Entschuldige, aber ich musste das machen, sonst …«, sagte Tatiana, die sich vorstellen konnte, wie sehr der arme Mann litt.
Der Rechtsanwalt bedeutete ihr, dass er verstand. Aber Tatiana sah ihm an, dass es schwer erträglich für ihn war, in einem Zimmer mit einer jungen Frau zu sein, die ihre Reize nur mit einem leichten Morgenmantel verdeckte. Sicher, sie war eine Genossin, aber eben auch eine
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