Die Pension Eva
landete mit einer Art Purzelbaum auf dem Boden.
Allgemeines Gelächter brach aus. Denn die mutigen, unbändigen Ritter lagen nun auf dem Rücken, und ihre zum Kampf gerüsteten Lanzen waren entblößt und ragten steil empor, nachdem sie sich lange an den schwitzenden Körpern der Mädchen gerieben hatten. Und da geschah etwas Unerwartetes. Denn bei diesem Anblick stürzte sich Rabicano, das Pferd, wie durch Zauberei in den Paladin Astolfo verwandelt, auf seinen ehemaligen Herrn. Mit wildem Geschrei bestieg es ihn und ritt ihn unbarmherzig, unter den mutigen Zurufen der Umstehenden, dieweil, ohne weiter Zeit zu verlieren, Baiardo es Rabicano gleichtat, das in Rinaldo verwandelt worden war. Lang und erbarmungslos war der Kampf, bis die Pferde schließlich, ohne einen Tropfen Blut mehr in den Adern, erschöpft liegen blieben …
Cavaliere Calcedonio Lardera, der über achtzig Jahre alt war, ging jeden Abend zur Pension Eva, so wie andere in einen Club oder ins Kino gingen, und blieb bis zur Sperrstunde dort. Er war Witwer, kinderlos, von Natur aus mürrisch und unfreundlich und hatte daher keine Freunde oder Verwandte, die ihn gerne um sich gehabt hätten. Er lebte mehr schlecht als recht von seiner Rente, doch irgendwann musste er einmal sehr reich gewesen sein. In der Stadt erzählte man sich, dass er ein richtiger Frauenheld gewesen sei. Doch seit ihm sowohl das Geld als auch – aufgrund seines fortgeschrittenen Alters – die Fähigkeit abhandengekommen war, Frauen zu erobern, tröstete er sich, indem er der Pension Eva allabendlich einen keuschen Besuch abstattete. Er ließ sich, weil er sich nichts anderes leisten konnte, vom Duft der Frauen und ihrem Lachen betören. Pünktlich um neun kam er und setzte sich immer an denselben Platz (seit wie vielen Jahren stand da eigentlich schon das Schild mit der Aufschrift »Reserviert für Cav. Calcedonio Lardera«?) und stützte sich auf den mit Intarsien verzierten Elfenbeingriff seines Gehstocks. Es bereitete ihm Vergnügen, was er beobachtete – zu mehr war er nicht mehr in der Lage. Wer ihn gut kannte, bat ihn oftmals um Rat.
»Cavaliere, was halten Sie von dieser Ines? Sollte man ihretwegen eine Marke kaufen?«
Bei solchen Fragen erinnerte sich der Cavaliere an längst vergangene Zeiten, die niemals wiederkommen würden, sah sich besagtes Mädchen an und gab dann sein Urteil ab. Dabei irrte er sich nie.
Auch als der Krieg immer brutaler wurde und die Flugzeuge Überraschungsangriffe flogen, ließ sich der Cavaliere immer an seinem angestimmten Platz blicken.
Eines Abends, als er gerade die Pension betreten wollte, explodierte eine Bombe unmittelbar neben ihm, und der Cavaliere wurde durch die Druckwelle gegen die Fassade der Pension geschleudert. Doch wie durch ein Wunder hatte kein einziger Splitter den Cavaliere getroffen. Wie ein Spuk war der Angriff wieder vorbei. Alle, die in der Pension waren und sich noch von dem Schrecken erholen mussten, sahen, wie der Cavaliere vornübergebeugt hereinkam, die Hände an den Bauch hielt und rief:
»Um Himmels willen, schnell! Um Himmels willen!«
In dem ängstlichen Stimmengewirr der Mädchen und der Kunden war deutlich der Ruf der Signora Flora zu hören, die zum Cavaliere eilte:
»Holt einen Arzt! Und bringt mir den Erste-Hilfe-Koffer! Der Cavaliere ist verletzt!«
»Was heißt hier verletzt?«, sagte der Cavaliere und schob Signora Flora von sich weg, die seinen Arm stützte. »Eine Frau, schnell!«
»Was denn für eine Frau?«, fragte Signora Flora entgeistert.
Doch der Cavaliere antwortete ihr gar nicht, er lief zu den Mädchen hinüber, die sich im Salon versammelt hatten, packte eine von ihnen, Manola, und zog sie mit sich die Treppe hinauf.
»Schnell, Manola, schnell!«
Der Aufruhr in der Pension legte sich. Die Gäste sahen sich ratlos an. Was war nur in den Cavaliere gefahren?
Sollte es möglich sein, dass nach so vielen Jahren der Waffenruhe …?
Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten vergingen.
»Er muss gestorben sein«, wagte einer der Kunden zu sagen.
»Glaub ich nicht, dann hätte Manola uns gerufen«, sagte Signora Flora.
Nichts. Nach einunddreißig Minuten erschienen der Cavaliere und das Mädchen oben an der Treppe.
»Nicht mal ein Bursche von zwanzig hätte das gekonnt!«, verkündete Manola. »Er hat alles gegeben.«
Die anderen Gäste standen auf und klatschten Beifall.
»Der Cavaliere zahlt für eine halbe Stunde«, sagte Manola stolz zu Signora Flora und übergab ihr die
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