Die Perfekte Braut
Pfützen. Der Geruch von Pferdemist lag aufdringlich in der Luft, vom Nachmittagsregen verbreitet, der den Staub weggewaschen hatte. Als sie in die engen, belebten Straßen um Covent Garden einbogen, zog Prudence sich tiefer in das Wageninnere zurück und wünschte, sie hätte einen Schleier zur Hand.
Der Wagen hielt vor einem unauffälligen Haus mit geschlossenen Fensterläden und einer Tür, die sich direkt zur Straße hin öffnete. Der Chauffeur half Prudence beim Aussteigen und geleitete sie zum Eingang. Sie blickte am Haus hinauf, das keines der Merkmale eines Restaurants aufwies. Eher sah es aus wie ein Privathaus.
Nachdem der Chauffeur geläutet hatte, wurde wenig später die Tür geöffnet. Ein Gentleman in korrektem Abendanzug verneigte sich. »Madam, Sir Gideon erwarteten Sie im roten Salon.«
Roter Salon? Prudence sah den Chauffeur an, als erwarte sie Aufklärung von ihm, doch der war bereits wieder auf die Straße getreten. Sie befand sich in einer eleganten Halle mit schwarz-weißem Marmorboden und kunstvollem Stuckzierrat an der Decke. Hinten führte eine Treppe mit vergoldetem Geländer nach oben.
»Hier entlang, Madam.« Der Mann ging ihr über die Stufen und einen breiten Korridor voraus. Stimmen, männliche und weibliche, waren hinter geschlossenen Türen zu vernehmen, dazu das Klirren von Porzellan und Glas. Prudence war ebenso neugierig wie erstaunt.
Ihr Begleiter blieb vor einer Doppeltür in der Mitte des Korridors stehen, klopfte einmal an und riss dann mit fast theatralischem Schwung beide Flügel weit auf. »Ihr Gast, Sir Gideon.«
Prudence betrat einen großen quadratischen Raum, der wie ein Salon eingerichtet war, sah man einmal von dem von Kerzen erhellten Esstisch ab; er stand in einem tiefen Erker mit Sicht auf den Garten und war für zwei Personen gedeckt. Auf den ersten Blick war klar, warum der Salon diesen Namen trug. Die Vorhänge waren aus rotem Samt, die Sitzmöbel mit rotem Damast bezogen.
Gideon Malvern stand neben dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Er stellte sein Whiskyglas ab und kam durch den Raum auf sie zu. »Guten Abend, Miss Duncan. Geben Sie mir Ihren Mantel.«
Sein Abendanzug war untadelig, in der weißen Weste blitzten winzige Diamantstecker. Als Prudence ihr Kopftuch abnahm, bedauerte sie flüchtig ihre eigene, sorgsam überlegte Aufmachung. Um absolut sicher zu sein, dass der Verteidiger diesen Abend nicht als geselligen Anlass auffasste, hatte sie sich entschlossen, den Eindruck der unscheinbaren alten Jungfer, den sie nachmittags in seinem Büro zu Schau getragen hatte, beizubehalten. Ohne Übertreibung sah sie in dem scheußlichen Kleid - sie hatte es aus einem mottensicheren, jahrelang nicht mehr geöffneten Zedernschrank ausgegraben - tatsächlich geradezu Furcht erregend aus. Sie hatte keine Ahnung, woher das Kleid stammte. Mit Sicherheit gehörte es nicht zu den Sachen ihrer Mutter. Zögernd knöpfte sie ihren Mantel auf und überließ ihn Sir Gideon. Er reichte ihn dem Mann, der sie empfangen hatte. Dieser verbeugte sich und zog sich zurück, indem er die Türen leise hinter sich schloss.
Gideon musterte seinen Gast mit unmerklich hochgezogener Braue. Er versuchte sich einen Grund auszudenken, warum eine Frau, noch dazu eine relativ junge, sich absichtlich so geschmacklos kleidete. Man musste annehmen, dass sie ihr Kleid, wie ihr Kostüm am Nachmittag auch, mit Bedacht gewählt hatte. Vielleicht war sie farbenblind und nicht nur kurzsichtig, oder was für ein Problem auch immer sie mit ihren Augen hatte, weil sie diese dicke Hornbrille tragen musste. Aber blind für Modisches war sie auf jeden Fall. Seine Nase zuckte. Hatte ihn wirklich ein Hauch von Mottenkugelmief aus den Falten des grässlichen Abendgewands angeweht?
»Sherry«, sagte er. »Darf ich Ihnen ein Glas vor dem Dinner anbieten?«
»Danke«, antwortete Prudence, der seine Reaktion auf ihre Aufmachung nicht entgangen war. Sie hatte genau den Eindruck erweckt, den sie beabsichtigt hatte, und doch war sie enttäuscht. Bewundernde Blicke war sie eher gewohnt als diese
Mischung aus Mitleid und Geringschätzung, mit der sie der Verteidiger ansah.
»Bitte, setzen Sie sich.« Er deutete auf eines der Sofas und ging an ein Sideboard, auf dem Karaffen mit Whisky und Sherry standen. Er schenkte ihr ein Glas Sherry ein und brachte es ihr.
»Danke«, sagte sie wieder mit einem kleinen spröden Lächeln, das ihrer Meinung nach zu ihrer Erscheinung passte. »Was für ein Haus ist
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