Die Perfekte Braut
Irgendetwas stimmte mit ihrer meist unerschütterlichen Schwester nicht. Prudence war immer ausgeglichen und hielt die geschäftlichen Zügel fest in Händen. Ihre Schwestern hoben hin und wieder zu emotionalen Höhenflügen ab, nie aber Prudence, die viel zu vernünftig war und sich unbeirrt auf das vorliegende Problem konzentrierte. Aus einem unerfindlichen Grund aber nicht an diesem Nachmittag.
»Verzeihung, Madam.« Das Mädchen erschien in der Tür. »Fred hat dies eben für Miss Prue gebracht.« Sie übergab einen Brief. »Er wurde am Manchester Square abgegeben. Mr. Jenkins war der Meinung, er könnte vielleicht wichtig sein, und ließ ihn gleich hierher bringen.«
»Danke, Brenda.« Constance nahm den Brief und warf einen
Blick auf den Umschlag. »Von der Kanzlei Sir Gideon Malvern, Kronanwalt.« Sie reichte ihn Prudence. »Er hat keine Zeit verloren.«
Prudence schlitzte den Umschlag auf und entfaltete den Bogen. »Er schreibt, Barclays Anwälte hätten zur Kenntnis genommen, dass er den Fall Barclay gegen The Mayfair Lady vertrete.« Sie blickte auf. »Gideon schreibt, er werde ihnen noch heute antworten. Ich frage mich, ob es ein schlechtes Zeichen ist, dass sie so rasch reagiert haben.« Ein besorgtes Stirnrunzeln machte sich auf ihrer Stirn breit.
»Wir werden erleichtert sein, wenn alles vorbei ist«, sagte Constance.
»Was steht sonst noch da?« Chastity beugte sich vor.
»Er schreibt, dass sie auf einem frühen Prozesstermin bestehen und dass er dagegen keine Einwände erheben wird. Er möchte sich heute Abend mit mir treffen, um mit den Vorbereitungen für den Fall zu beginnen.« Sie reichte Chastity das Schreiben. »Man hätte erwartet, er würde versuchen, den Fall möglichst auf die lange Bank zu schieben. Wir haben ja noch keine Beweise für Barclays Betrug in der Hand.«
»Es hat sich noch keine Möglichkeit ergeben, Vaters Papiere zu sichten«, sagte Chastity, beruhigend eine Hand auf jene ihrer Schwester legend, die unentwegt nervös über die Armlehne strich. »Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit machen wir uns auf die Suche.«
Prudence nickte. »Ich weiß. Es geht einfach alles zu schnell.«
»Sicher haben wir mindestens einen Monat Zeit, um alles vorzubereiten«, sagte Constance aufmunternd. »So ein Verfahren kommt nicht über Nacht zur Verhandlung.«
»Nein, das stimmt.« Prudence brachte ein Lächeln zustande. »Ich glaube, ich schicke sofort eine Nachricht zurück, dass ich da sein werde... wo?« Sie nahm den Brief wieder zur Hand und las laut: »Pall Mall Place 7.« Sie blickte verblüfft auf. »Ich hätte erwartet, in seiner Kanzlei.«
»Vielleicht hat er noch ein anderes Büro«, schlug Chastity vor.
Prudence zuckte mit den Schultern. »Um sieben Uhr werde ich es wissen.«
»Von einem gemeinsamen Dinner schreibt er nichts«, bemerkte Chastity.
»Sicher bedeutet das, dass es sich um ein rein geschäftliches Treffen handelt«, erklärte Prudence frostig. »Und er unterlässt es, mir seinen Chauffeur zu schicken.«
»Mit etwas Glück wirst du also keine unwillkommenen Annäherungsversuche abwehren müssen«, murmelte Chastity.
Ihre Schwester ignorierte den Kommentar und sagte kühl: »Wenn Vater heute die Kutsche nicht braucht, soll mich Cobham im Landauer hinfahren und um acht wieder abholen, damit ich rechtzeitig zum Dinner zu Hause bin. Eine Stunde müsste Sir Gideon genügen - mir jedenfalls mit Sicherheit«, setzte sie hinzu.
»Willst du diese Liste mitnehmen?« Chastity deutete auf ihre Notizen. »Oder ihn wenigstens fragen, ob er gewisse Vorlieben hat?«
»Die Liste nehme ich nicht mit, hinsichtlich seiner Vorlieben aber werde ich ihn befragen«, erwiderte ihre Schwester und stand auf. »Chas, wir müssen gehen. Es ist fast fünf. Hast du die Absicht, heute zu Hause zu speisen, Con?«
»Nein, auf Nummer 10«, sagte ihre Schwester mit einem übertriebenem Seufzen. Gemeint war die offizielle Residenz des Premierministers.
»Ach, welch eine Ehre.« Prudence sah ihre Schwester mit zusammengekniffenen Augen an. »Ist was im Busch?«
Constance lächelte. »Ich weiß nicht. Max würde nie etwas sagen. Aber ich habe so ein Gefühl... nur ein Gefühl.«
»Ein Kabinettsposten?«, fragte Prudence rasch.
»Wie gesagt, Max schweigt sich darüber aus.«
»Er würde es verdienen«, meinte Chastity und umarmte ihre Schwester.
»Hoffen wir, dass es ein Posten ist, der mit dem Engagement seiner Gattin für die Frauenrechte nicht zu stark im Widerspruch steht«,
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