Die Perfekte Braut
empfand.
»Wir sind in einer knappen halben Stunde da. Sehen Sie die Türme?« Er zeigte mit einer Hand auf die Andeutung einer Silhouette am Horizont.
»Sonderbar, in Oxford war ich noch nie«, meinte Prudence, die entschlossen ihre bedrückenden Gedanken verdrängte. »In Cambridge schon, aber nie in Oxford.«
»Mir ist Oxford lieber, aber ich bin voreingenommen.«
»Sie waren am New College?«
Er nickte und legte eine Hand auf ihr Knie. Eine flüchtige Berührung, doch empfand Prudence sie als sonderbar, als bedeutsam. Tatsächlich wurde ihr klar, dass die ganze Fahrt eine Bedeutung bekommen hatte, die sie nicht zu interpretieren vermochte. Aber sie war mehr als nur die Summe ihrer Teile. Viel mehr.
Sie fuhren vor dem Randolph Hotel in der Beaumont Street vor, als die Glocken die Mittagsstunde schlugen. Prudence stieg aus und lockerte wieder ihre Schultern. Die Sonne schien so warm, dass man sich wie im Frühsommer und nicht wie im Herbst fühlte. Wieder legte sie ihren Pelz ab.
Gideon nahm Mantel und Haube vom Sitz. »Wir nehmen das lieber mit hinein. Dort sind die Sachen sicherer als auf dem offenen Sitz.«
Ein Portier beeilte sich, sie in die hohe Hotelhalle zu geleiten. Eine elegant geschwungene Treppe führte zu den oberen Geschossen. »Die Damengarderobe befindet sich oben«, sagte Gideon. »Ich erwarte Sie bei Tisch.« Er strebte dem Restaurant zu.
Als Prudence wieder zu ihm stieß, studierte er gerade die Weinkarte. Auf ihrem Platz stand ein Glas Champagner.
»Ich war so frei, für Sie einen Aperitif zu bestellen«, sagte er. »Wenn Sie lieber etwas anderes hätten...«
»Nein, das ist herrlich.« Sie setzte sich und trank einen Schluck. »Es muntert einen auf.«
»Und ich habe den Eindruck, dass Sie Aufmunterung nötig haben«, sagte er. »Ich will den Rest des Tages versuchen, Sie aufzumuntern.« Er beugte sich vor und legte eine Hand über die ihre auf dem Tischtuch. »Ja?«
Ja, dachte Prudence, der heutige Tag ist viel mehr als die Summe seiner Teile. Sie entzog ihm sanft ihre Hand und klappte die Speisekarte auf. »Was empfehlen Sie mir? Ich nehme an, Sie kennen das Restaurant.«
»Sehr gut sogar«, erwiderte er und akzeptierte den Themawechsel. Wenn sie ihm keine spontane Antwort geben wollte, dann würde er sie nicht drängen. Er hatte auch seinen Stolz und war Zurückweisung nicht gewohnt, doch erlaubte er sich nicht, seinen Unmut spürbar werden zu lassen, und sagte nur kühl: »Die Küche ist sehr gut. Wie groß ist Ihr Appetit?«
»Ich bin halb verhungert.«
Er studierte seine Karte. »Lammrücken«, schlug er vor. »Wenn Sie nicht die Seezunge vorziehen.«
»Lamm klingt verlockend«, sagte sie. »Nach Fisch ist mir nicht zumute. Und was soll ich als Vorspeise nehmen?«
»Die Räuchermakrelenpastete ist köstlich, aber wenn Ihnen der Sinn nicht nach Fisch steht...« Er studierte mit gerunzelter Stirn die Speisekarte. »Vielleicht Vichyssoise?«
»Ja, ausgezeichnet.« Prudence klappte die Speisekarte zu, nahm ihre Brille ab, um sie mit der Serviette zu putzen, und schenkte ihm ein Lächeln. Gideon war auf die Wirkung dieses Lächelns, das er viel zu selten gesehen hatte, nicht gefasst. In Verbindung mit dem Glanz, den es ihren lebhaften grünen Augen verlieh, war es schier umwerfend. Es war zwar irgendwie ein Trostpreis, entschied er, aber dennoch nicht zu verachten.
»Weißwein oder Rotwein?«, fragte er und griff zur Weinkarte.
»Ich bin eher in Rotweinstimmung.«
»Dann soll es ein hon Bordeaux sein.«
Prudence nippte an ihrem Champagner, lehnte sich zurück und blickte aus den hohen Fenstern auf das Märtyrermahnmal auf dem kleinen Platz gegenüber, auf die Studenten, die mit schwarzen, flatternden akademischen Gewändern St. Giles entlangradelten. Ihre Stimmung hatte sich verändert. Sie war nun ganz entspannt und zufrieden und freute sich auf das Essen. Da ihr Begleiter in die Weinkarte vertieft war, nutzte sie die Gelegenheit, um seine Züge genau, wenngleich verstohlen zu mustern.
Sein dichtes Haar war aus der breiten, ein wenig gewölbten Stirn gekämmt, und sie hatte den Eindruck, dass sein Haaransatz ein wenig im Zurückweichen begriffen war. Noch fünf Jahre, und seine Stirn würde noch höher sein. Ihr Blick glitt über die kühne, sehr dominante Nase, den Mund, den sie beunruhigend attraktiv fand, die tiefe, noch attraktivere Kinnkerbe. Die Hände mit den ovalen Nägeln waren für einen Mann feingliedrig - lange Finger, Pianistenhände. Sie waren ihr als
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