Die Perlenzüchterin
weg.« Gussie war nicht sehr mitteilsam.
»Wo ist Leila?«
Gussie sah weg. »Wer der Kerl?«
»Mein Cousin. Er ist Anwalt. Er wird Leila helfen.«
»Leute vom Central Land Council waren da. Haben gesagt, wir kriegen Ärger, weil wir uns um sie gekümmert haben.«
Samis Herz setzte kurz aus – die Aborigine-Behörden waren aufmerksam geworden! »Harlan, kommst du bitte mal«, rief sie. Gussie beäugte seine schicke Kleidung misstrauisch, seinen modischen Haarschnitt und seine kultivierte Ausstrahlung, die der eines Weißen glich.
Harlan begrüßte sie höflich. Als er auf Kukatja mit ihr sprach, wurde Gussie sofort weich, und sie unterhielten sich lange und ernst.
Sami hörte mehrfach den Namen Leila, sonst verstand sie nichts. Schließlich nickte Harlan Gussie zu und sprach auf Englisch weiter. »Okay. Überlass das mir.« Dann wandte er sich an Sami und nahm ihre Hand.
»Was ist los?«, fragte sie, und eine schlimme Vorahnung überkam sie. »Ist Leila mit Farouz mitgefahren?«
Harlan schüttelte den Kopf, doch ehe er zu Wort kam, fuhr Sami fort: »Sie hat sich doch nicht gestellt, oder? Ich habe ihr versprochen, dass du ihr hilfst, dass ich wiederkomme …«
»Sami.« Harlan unterbrach sie abrupt. Er fasste sie an den Armen und zwang sie, ihn anzusehen.
Sie versteifte sich. »Ja?«
»Leila ist tot.«
Sami starrte ihn an, unfähig, seine Worte zu begreifen. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nein, das stimmt nicht. Das kann nicht sein! Nach allem, was sie durchgemacht hat. Was ist passiert?« Sie blickte aufgelöst um sich. »Wann? Wo ist sie?«
»Eines Abends ist Leila verschwunden. In die Wüste gelaufen, an einen Ort, der ihr etwas bedeutete. Und hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Die Frauen glauben, dass sie das schon lange vorgehabt hatte.« Er schlang die Arme um die zitternde Sami und drückte sie an sich.
»Sie hat mir keine Chance gegeben, ihr zu helfen.«
»Sami, tief im Innern muss sie gewusst haben, dass ihre Situation hoffnungslos war. Du hast ja gesagt, dass sie keine engeren Angehörigen mehr hatte. Die Frauen sagen, sie hat ihre Dinge in Ordnung gebracht. Sie hätte darüber gesprochen, dass du diese Teppichtasche bekommen hast.«
Sami begann zu weinen, rang jedoch um Fassung. »Irgendwo im Hinterkopf hatte ich gedacht, sie könnte hier ein neues Leben beginnen. Jemanden kennen lernen, irgendwie eine neue Familie gründen. Leila war doch nicht viel älter als vierzig.«
Sie machte sich von Harlan los, nahm das dargebotene Taschentuch und tupfte sich die Tränen von den Wangen. »Es geht schon, danke«, flüsterte sie. Dann nahm sie seine Hand und führte ihn zu dem Unterstand, wo eine Gruppe Künstlerinnen schweigend arbeitete.
Er trat beiseite, als Sami sich zu ihnen setzte. Sie lächelten, nahmen sie zur Kenntnis, arbeiteten jedoch weiter. Sami sah, dass sie alle traditionelle Kunst anfertigten. Verschiedene Gemälde waren auf der roten Erde ausgebreitet, um in der Sonne zu trocknen. Einige geflochtene Körbe waren fertig. Eine ungewöhnliche Knüpfarbeit in Purpur und Rot, auf der ein Totemzeichen abgebildet war, lehnte an einem der Pfähle, die das Dach trugen.
»Rosie Wallangou hat euch Materialien geschickt. Eine Menge Malsachen«, sagte Sami nach einer Weile.
»Gute Farbe? Leinwand, keine Pappe?«
»Sehr gute Materialien. Sie mag eure Arbeiten. Sie kommt und setzt sich zu euch. Will über das Geschäftliche reden. Rosie wird sich um euch kümmern. Sie ist anständig. Das da ist ihr Ehemann.«
»Sie hat diese Galerie in Broome. Guter Laden, hm?«
»Stimmt.« Schweigen trat ein. Sami saß da und beobachtete sie bei der Arbeit. Sie erinnerte sich an Palmers Rat: sie solle sich einfach zu den Leuten setzen. Es sei nicht nötig zu plaudern. Weißen war bei diesem Schweigen oft unbehaglich zumute, doch allmählich löste sich der Knoten in Samis Brust. Schließlich deutete sie auf die Arbeiten. »Ihr macht eure eigenen Sachen. Nicht den neuen Stil, hm?« Sie sah von einer Frau zur anderen und fragte: »Irgendwelche Knüpfarbeiten?«
»Machen das nicht mehr.«
»Oh. Rosie mochte die letzten Sachen – sie waren etwas ganz anderes.«
»Sonderposten. Nicht mehr.«
Sami begriff. Aus welchen Gründen auch immer – und sie nahm an, Rosie würde es wissen und es ihr sagen – malten sie ohne Leila nicht mehr ihre Geschichten. Leila war dahingegangen, ein Kapitel im Leben dieser Frauen war zu Ende, und nun fuhren sie mit dem fort, was sie kannten: ihrem
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