Die Perlenzüchterin
eigenen Stil. Vielleicht würde eines Tages in einem Kunstwerk die Geschichte der einsamen Afghanin in Erscheinung treten, die aus einem Land weit jenseits des Ozeans in die Wüste gekommen war, ihre Träume geteilt hatte und dann fortgegangen war zu den Geistern ihrer Kinder.
Sami stand auf und ging zu Gussie, die Harlan gerade Tee aus der großen geschwärzten Teekanne am Rand des glimmenden Lagerfeuers eingoss. »Wo lang, Gussie?«
Die wies ihr mit dem Teelöffel die Richtung.
»Ich brauche nicht lange, Harlan.« Er nickte und verstand: sie wollte allein sein.
Rakka lief ihr voraus, als sie das Lager verließ und nach Osten ging. Die Hündin schnüffelte am Boden und schien zu wissen, wohin sie wollten, obwohl sie noch nie dort gewesen war. Doch Sami wusste den Weg. Sie waren hier entlanggegangen, Sami und Leila.
Die Nacht, in der Leila allein hier herausgekommen war, um nicht mehr zurückzukehren, musste bitterkalt gewesen sein. Ein klarer Himmel mit den vertrauten Sternen. In der Ferne durchbrachen die rosafarbenen Dünen, die wie Brüste aussahen, die gerade Linie des Horizonts. Ein wenig Spinifex, ein spindeldürrer Woolly-Butt-Eukalyptus, die fragil wirkenden, aber zähen Akazien. Dann der kleine Bloodwood-Baum, unter dem sie so oft gesessen und sich unterhalten hatten. Und der kleine Baum mit den blühenden Kimberley-Rosen. Bildete sie sich das ein, oder waren auf den abgefallenen Blüten am Fuß der Pflanze braune Flecken, Blutflecken, zu sehen?
Ein Felsblock diente als Grabstein. Eine volle Sonne und ein zunehmender Mond sowie die arabischen Zeichen, die den Namen Leila ergaben, waren hineingemeißelt. Farouz’ Handschrift war unverkennbar. Sie hatten sie in aller Stille hier begraben, um Ärger zu vermeiden. Doch sie hatten um sie geweint.
Ein einsamer Ort, so fern dem Land, das Leila innig geliebt hatte, in dem sie voller Träume und Hoffnungen aufgewachsen war, sich verliebt und Kinder geboren hatte. Ein Ort der Kultur und des Glaubens, an dem die Menschen Fremde willkommen hießen, weil sie glaubten, dass Gäste ein Geschenk sind.
Sami setzte sich ans Grab und berührte den Stein. »Du warst ein Geschenk für uns, Leila. Ich verspreche, wir werden dich nie vergessen.«
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Kapitel einundzwanzig
Lily fuhr den Pfad von der Farm zum Tor hinab. Wie vertraut ihr alles geworden war … die Bäume, das Unterholz, jede Kurve. Sie sah ein paar Rinder, die dem Dorf gehörten und sich auf ihr Land verlaufen hatten. Im Geiste machte sie sich eine Notiz, sie dorthin zurückzubringen. Ross konnte dafür sorgen, beschloss sie. Es war gut zu wissen, dass Ross demnächst ganz in der Nähe wohnen und Don, der ja ein Bardi war, in das Aborigine-Jugend-Projekt miteinbeziehen würde.
Ja, dachte Lily, während sie langsam aufs Tor zufuhr, es gab so viel, wofür sie dankbar war. Und nicht zuletzt das, was sie unter den Strandtüchern auf dem Rücksitz verborgen hatte: flache Kartons, in denen sich die Perlen befanden. Es handelte sich um die Auslese ihrer bisherigen Ernte. Pauline sollte daraus die Perlen für den Schmuck auswählen, den Lily bei ihr in Auftrag gegeben hatte. Vorteilhaft in Paulines Ausstellungsraum auf schwarzem Samt drapiert und geschickt beleuchtet, würden sie die japanischen Investoren weitaus stärker beeindrucken, als wenn sie nur auf dem Arbeitstisch ihres Häuschens lagen. Zusätzlich hatten sie mehrere Austern beiseite gelegt, bei denen Aussicht bestand, dass sie Ausnahme-Perlen beherbergten. Die würde man erst im Beisein der Japaner öffnen.
Lily schloss das Tor hinter sich. Als sie wieder ins Auto stieg, hatte sie das unheimliche Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Sie warf einen Blick über die Schulter, sah jedoch niemanden. Doch als sie weiterfuhr, sah sie Munda am Wegrand stehen. Ehe sie abbremsen oder anhalten konnte, grinste er und hielt ihr den erhobenen Daumen hin. Sofort darauf wandte er sich ab und schlenderte zurück in den Busch, aus dem er Sekunden zuvor aufgetaucht war.
»Du kleiner Halunke«, sagte sie laut, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass seine kecke Geste ihr Glück bringen sollte. Dass er auf sie, auf die Farm Acht gab. Sie musste Ross Bescheid geben, dass das Gelände über einen etwas sonderbaren Beschützer verfügte – sofern man ihn grüßte und ihm Gastfreundschaft anbot, wenn er auftauchte. Vielleicht war dies Daves Fehler und Tims Glück gewesen. Schließlich hatte Munda als Erster die Lacepedes als mögliche neue Zuchtgründe erwähnt.
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