Die Perserinnen - Babylon 323
überhaupt
schwanger bin“, warf Paruschjati ein. „Und selbst wenn, wüsste niemand, ob es
ein Sohn wird.“ In letzter Zeit hatte sie das Gefühl, immer wieder das Gleiche
zu sagen.
„Aber es wäre möglich, und deshalb musst du an seine Zukunft
denken“, erklärte Vidarna hartnäckig. „Du trägst Verantwortung für ihn, ebenso
für deine Familie und für das ganze Reich. Du bist die Gemahlin des Königs!“
„Nur eine von mehreren.“
„Viele sind der Meinung – und zwar nicht nur diese
Verrückten aus dem Osten! –, dass dir der Vorrang vor den anderen Frauen des
Königs zusteht. Du stammst von einer langen Reihe von Großkönigen ab.
Raukschana ist nur eine unbedeutende Adelstochter aus dem Osten, Barschina ist
noch nicht einmal richtig mit dem König verheiratet, und Statira ist die
Tochter des Usurpators Darajavahusch. Niemand würde den Enkel eines Feiglings
und Verräters als Eben des Throns akzeptieren. Du hast die Chance, die
Stammmutter einer neuen Dynastie zu werden. Willst du das alles wegwerfen?“
„Wenn der König stirbt, könnte es ein Blutbad geben“, gab
Frataguna wieder zu bedenken. „Wie schon so oft bei einem Thronwechsel.
Paruschjati sollte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.“
„Und wenn der König nicht stirbt? Paruschjati hat
viel zu verlieren. Wenn sie flieht und der König stirbt dann doch nicht, hätte
sie ohne Grund alles aufgegeben. Soll sie den Rest ihres Lebens in einem
baktrischen Stall hausen?“
„Dann wäre sie zumindest am Leben!“
„Ich weiß, ihr beide habt Schreckliches durchgemacht. Erst
das Blutbad, dem euer Vater und seine Söhne zum Opfer gefallen sind, dann
Arescha und seine Familie … Aber man kann nicht sein ganzes Leben in Furcht vor
der Vergangenheit verbringen. Paruschjati, Ahura Mazda hat dir die Chance
gegeben, deiner Familie wieder zu der Stellung zu verhelfen, die ihr gebührt.
Nutze sie! Bleibe in Babiru und kämpfe für die Rechte deines Sohnes!“
„Nein! Sein Leben ist es, wofür du kämpfen musst!“ Frataguna
nahm Paruschjatis Hand. „Das ist jetzt deine oberste Pflicht! Lass dich nicht
von hochfliegenden Hoffnungen verführen! Es gibt Wichtigeres als Macht und Würden
– das Leben selbst ist das Kostbarste, was die Götter uns geschenkt haben! Nimm
das Angebot der Arija an, dann bist du mit deinem Kind in Sicherheit.“
Paruschjati schluckte. Ein Teil von ihr stimmte Frataguna
zu, doch auch Vidarna hatte recht. Man kann nicht sein Leben lang in Furcht vor
der Vergangenheit sein – wie oft schon hatte sie das selbst gedacht! Und wie es
wäre, wenn ein Sohn von ihr eines Tages auf dem Thron ihrer Vorväter sitzen
würde … eine Vorstellung, die eine fast hypnotische Anziehungskraft auf sie
ausübte.
„Ich kann nicht gehen“, sagte sie. „Nicht jetzt.“
Frataguna nahm Paruschjatis Gesicht zwischen ihre Hände und
presste ihre Stirn gegen die ihrer Schwester. „Ich weiß, du hast dich nie damit
abgefunden, dass unsere Familie ihren Rang verloren hat“, flüsterte sie. „Du
warst immer anders als ich. Aber denk nach: Die Arija wollen im Osten ein neues
Reich gründen und deinen Sohn zu ihrem König machen. Wäre das nicht genug Macht
und Ehre?“
„Und wenn mein Sohn auch im Osten nicht sicher wäre?“
Paruschjati flüsterte ebenfalls.
„Sie hast recht“, mischte sich Vidarna ein. „Die Männer, die
an sie herangetreten sind, brauchen einen Abkömmling des Hachamanisch, wenn sie
im Osten ein neues Reich gründen wollen, sonst würden ihnen die Arija nicht
folgen. Doch Paruschjatis Sohn könnte viele Jahre nicht selbst regieren. In
Wirklichkeit besäßen die Verschwörer die Macht. Was würde wohl geschehen, wenn
einer von ihnen beschließt, sich selbst zum König aufzuschwingen?“
Paruschjati dachte an den Mann mit der heiseren Stimme. Er
hatte anders geklungen als die anderen, entschlossener, fast fanatisch. Ihm
traute sie durchaus derartige Ambitionen zu. Sie hatte immer ein ungutes Gefühl
gehabt, wenn er sprach. In Babylon schwebte sie vielleicht in tödlicher Gefahr,
und mit ihr ihr ungeborenes Kind. Doch wenn sie den Verschwörern in den Osten
folgte, begab sie sich möglicherweise genau in die Gefahr, die sie zu vermeiden
versuchte. Es gab nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: Paruschjati musste
weiter versuchen, zum König vorzudringen und ihn zu warnen. Wenn es ihr gelang,
sein Leben zu retten, würde es keinen Machtkampf geben und kein Blutvergießen.
Und sie würde auch die Rechte ihres Sohnes
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