Die Perserinnen - Babylon 323
wahren – für jetzt oder später.
„Ich werde nicht davonlaufen!“, sagte sie entschlossen. „Wir
Parsa haben das schon zu oft getan. Ich möchte nicht mein Leben lang auf der
Flucht sein. Sollte ich wirklich ein Kind bekommen, ob Sohn oder Tochter, dann
soll es nicht einsam und in der Fremde aufwachsen.“
Auf dem Hof, an dem die königlichen Gemächer lagen,
herrschte noch immer großer Andrang, obwohl nur hohe Offiziere und Beamte
Zutritt hatten. Doch im Durchgang des Tores, das ihn vom Zentralhof trennte,
drängten sich an diesem Morgen die einfachen Soldaten. Nur mit Mühe von den
Schildträgern zurückgehalten, starrten sie mit besorgten Gesichtern hinaus auf
den Hof.
Als Paruschjati die Halle betrat, wartete Barsine bereits
mit Herakles auf sie. Gemeinsam gingen sie zum Eingang der königlichen
Privaträume, wo an diesem Tag Ptolemaios als Leibwächter Dienst hatte. Nach dem
Vorkommnis in der vergangenen Nacht setzte Paruschjati allerdings kein
besonderes Zutrauen mehr in ihn. Etwas verspätet fiel ihr ein, dass sie Barsine
davon hätte in Kenntnis setzen müssen.
Mit fester Stimme verlangte Barsine Einlass. Ptolemaios
bedauerte zutiefst, er könne niemanden vorlassen.
„Herakles ist der Sohn des Königs“, erklärte Barsine. „Sein
einziger Sohn. Er hat das Recht, seinen Vater zu sehen.“
„Es tut mir leid, aber es geht nicht.“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Raukschana
trat heraus, begleitet von ihrem Bruder Vischtana, ihren beiden Schwestern und
einem Schwarm von Dienerinnen und Eunuchen. Als sie an den beiden anderen
Frauen vorüberrauschte, bedachtet sie sie mit einem spöttisch-triumphierenden
Blick.
„Ach, Raukschana durfte also hinein?“, fragte Barsine
frostig.
„Das war nicht meine Entscheidung, sondern die von
Perdikkas.“
„Und was Perdikkas entscheidet, ist für dich maßgeblich,
oder wie?“
Ptolemaios antwortete nicht. Seine ausgeprägten Segelohren
hatten sich rot verfärbt, wie immer, wenn er verlegen war. Ptolemaios war
eigentlich nicht als Freund von Perdikkas bekannt, und als dessen Handlanger
dargestellt zu werden, wurmte ihn mit Sicherheit.
„Und Thais?“, fuhr Barsine fort. „Was hast du dir dabei
gedacht, deine Hure auf Königin Parysatis anzusetzen?“
Da Paruschjati vergessen hatte, Barsine von dem nächtlichen
Überfall zu erzählen, konnte nur der vergleichsweise harmlose Vorfall in den
Gärten gemeint sein. Was Ptolemaios natürlich nicht wusste; seine Ohren glühten
inzwischen wie das Innere eines Schmiedeofens. „Ich weiß nicht, wovon du
sprichst.“
„Kann ich helfen?“, fragte eine Stimme hinter ihnen in
holprigem Persisch.
Die beiden Frauen wandten sich um. Der Sprecher trug die
engen Hosen und die langärmelige Jacke persischer Reiter – ein ungewohnter
Anblick. Persische Adlige, die die Rüstung und den Reiterumhang der
makedonischen Armee trugen, bekam man in letzter Zeit häufiger zu Gesicht, doch
ein Makedone in persischer Tracht fiel auf wie ein bunter Hund. Peukestas war,
soweit Paruschjati wusste, der einzige. Im vorigen Jahr war er zum Satrapen von
Persis ernannt worden. Offenbar hielt er es für eine gute Idee, sich in
Landestracht zu zeigen.
Barsine klagte ihm ihr Leid. „Gestern haben Königin
Paruschjati und ich stundenlang vergeblich gewartet, um vorgelassen zu werden.
Heute weist man uns schon wieder ab, während andere, zum Beispiel Raukschana,
problemlos Einlass erhalten.“
„Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln.“ Peukestas’
Persisch war eine Katastrophe, aber immerhin hatte er sich überhaupt die Mühe
gemacht, die Sprache zu erlernen. Selbst der König beherrschte wenig mehr als
„Ja“, „Nein“, „Danke“ und „Willkommen an meinem Hof“.
Während Peukestas mit Ptolemaios sprach, versuchte sich
Paruschjati zu erinnern. Hatte Ephippos’ Zeuge auch Peukestas’ Namen genannt,
als er die Teilnehmer am Bankett bei Medios aufgezählt hatte? Alle sieben
Leibwächter waren an dem Abend anweisend, das waren seine Worte gewesen.
Peukestas war zum Leibwächter ernannt worden, als er dem König in Indien das
Leben gerettet hatte. Gehörte also auch er zu den Verschwörern?
„Es ist zwecklos“, sagte Ptolemaios schließlich, dessen
Ohrenfarbe sich wieder normalisiert hatte.
„Ich bestehe darauf, dass man die Damen einlässt.“
„Das hast du nicht zu entscheiden.“
„Darf ich dich daran erinnern, dass auch ich ein Königlicher
Leibwächter bin?“
„Ach ja?“ Ptolemaios
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