Die Perserinnen - Babylon 323
werde ich euch Einlass verschaffen. Ich verspreche es!“
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt überschritten. Über den
quadratischen Platten aus gelbem Ton, mit denen der Fußboden des Hofs gepflastert
war, schien sich die erhitzte Luft zu kräuseln wie Wasser in einer glasklaren
Quelle. Eine endlose Schlange von Menschen wälzte sich aus dem östlichen
Torbau. Langsam, aber unaufhaltsam schob sie sich vorwärts, wand sich um die
nördliche Seite des Hofes zum Westtor, wo sie verschwand und sich in den Tiefen
des Palasts verlor. Dann kam sie auf der anderen Seite wieder zum Vorschein, um
sich diesmal in Gegenrichtung zu bewegen, an der Südseite des Hofes entlang zum
Osttor, aus dem sie gekommen war.
Eine seltsame Stille herrschte im Hof, geradezu unheimlich
angesichts der vielen Menschen. Die meisten warteten stumm, unberührt von der
brütenden Hitze und dem endlosen Warten. Augen starrten ins Leere, Lippen
bewegten sich lautlos, und doch schoben die Männer sich mit bemerkenswerter
Disziplin vorwärts. Sie waren Soldaten, auch wenn sie ihre Waffen abgelegt
hatten. Nur das dumpfe Scharren ihrer Militärstiefel war zu hören.
Auf der Südseite war die Stimmung anders als auf der
Nordseite, weniger gedrückt, dafür womöglich noch fassungsloser. Vielen der
Männer hier sah man an, dass sie geweint hatten, andere weinten noch immer,
selbst gestandene Veteranen mit grauen Bärten und narbenzerfurchten Gesichtern.
Ein junger Soldat stand ein wenig abseits von den anderen. Er weinte
hemmungslos, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Ein anderer, vielleicht sein
Freund, stand ratlos neben ihm.
Paruschjati sprach ihn an. „Du hast den König gesehen,
Soldat? Wie geht es ihm?“
Der Blick des Mannes war weit weg gewesen, nur mühsam schien
er in die Wirklichkeit zurückzufinden. Langsam, als müsse er sich dazu
überwinden, nahm er Haltung an. „Er konnte nicht mehr sprechen“, sagte er mit
flacher Stimme. „Er lag nur da, als wir an ihm vorüberzogen, und blickte uns
an.“
„Wie sieht er aus?“
„Blass. Ausgemergelt. Das Gesicht glänzend von Schweiß. Er
konnte nicht mehr sprechen, doch als ich an ihm vorüberging, bewegten sich
seine Augen. Er sah mich an, und dann lächelte er! Er hat mich erkannt, das
schwöre ich bei allen Göttern, die mir heilig sind! Einmal, in Indien, standen
wir für einen Augenblick nebeneinander oben auf der Mauer einer belagerten
Stadt und sahen uns ebenso an.“
„An mich hat er sich auch erinnert“, rief jemand aus der
Schlange, ein Mann mit einer Narbe auf der Stirn. „Er bewegte die Hand, als
wolle er mich grüßen.“
Der weinende junge Soldat schluchzte auf, das Gesicht noch
immer in den Händen verborgen. Sein Freund sagte: „Ich kann nicht glauben, dass
er stirbt. Wie soll die Welt weiterbestehen ohne ihn?“ Dann legte er seinem
Kameraden behutsam den Arm um die Schultern und führte ihn zurück in die
Schlange.
Paruschjati drängte sich durch verstopfte Durchgänge, nahm
Umwege, landete in Sackgassen und versuchte es auf anderen Wegen, bis sie
endlich ihr Ziel erreichte. Es lag in einem der östlichen Höfe. Sie hatte
Glück: Eumenes hastete gerade in seine Kanzlei, von einem Pulk geschäftiger
Schreiber umschwirrt, deren Arme mit Schriftrollen beladen waren.
„Königin Parysatis“, sagte er höflich und ohne sich seine
Überraschung anmerken zu lassen. Er wirkte überarbeitet, zugleich aber
energiegeladen und wie immer ganz von seiner Wichtigkeit überzeugt.
„Ich weiß, du bist sehr beschäftigt“, erwiderte sie.
„Könntest du vielleicht trotzdem einen Augenblick für mich erübrigen?“
„Selbstverständlich.“ Er zeigte einladend hinüber zu dem
Schreibtisch, an dem er seine Besucher zu empfangen pflegte.
„Es ist vertraulich.“
Er nickte resigniert und scheuchte seine Mitarbeiter hinaus.
Paruschjatis Gefolge blieb draußen vor der verschlossenen Tür, mit Ausnahme von
Farnakia und Artaschura, die rechts und links vom Eingang Aufstellung nahmen,
während Mannuja sich einen Schemel griff. Eumenes setzte das
ironisch-überlegene Lächeln auf, das so charakteristisch für ihn war.
„Vertraulich“ bedeutete bei persischen Damen, dass mindestens ein Eunuch und
eine Kammerfrau anwesend waren.
„Du willst sicher Genaueres über das Befinden des Königs
erfahren“, begann er. „Ich fürchte, ich habe wenig Neues für dich. Die Ärzte
tun, was sie können, aber sie wollen nicht mit der Sprache heraus. Daher kann
ich dir nur sagen, dass
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