Die Perserinnen - Babylon 323
erschrecken die Menschen damit.“
„Unsinn“, fuhr ihr ihre Schwester Artakama über den Mund.
„Du hast selbst gesagt, der Unbekannte hatte keine Erklärung für sein
Verhalten. Das ist der Beweis, dass es sich um ein echtes Vorzeichen handelt.
Offensichtlich droht dem König tatsächlich Gefahr …“
„… genau, und zwar von den Chaldäern selbst! Vielleicht
haben sie eine Verschwö…“
„Warum haltet ihr nicht einfach den Mund?“, fauchte Barsine
ihre beiden Schwestern an. „Ihr wisst doch gar nicht, wovon ihr redet!“
Betont lebhaft rief Frataguna: „Ilissa, warum erzählst du
uns nicht ein wenig über deinen Mann?“ Barsines Tochter, nur ein paar Jahre
jünger als Paruschjati, war die Frau von Nearchos, der bald mit der Flotte in
See stechen würde. „Bestimmt kann er es gar nicht erwarten, nach Arabien
aufzubrechen!“
Sofort wandte sich das allgemeine Interesse dem geplanten
Feldzug zu. Paruschjati sah schweigend auf ihre Hände herab, während das
Gespräch um sie herum weiterging.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Barsine leise. „Es hatte
nichts zu bedeuten.“
Paruschjati sah weiter auf ihre Hände. „Was ist mit dem
Unbekannten geschehen?“
„Er wurde hingerichtet. Hör nicht auf das Geschwätz meiner
Schwestern! Es handelt sich weder um ein böses Vorzeichen noch gibt es eine
Verschwörung. Der Mann war einfach nur geisteskrank. Er wusste nicht, was er
tat.“
Mehr als ein halbes Jahr war inzwischen vergangen, seit
Hephaistion gestorben war. Paruschjati hatte gehofft, nein, gespürt, dass der König endlich begonnen hatte, über den Verlust seines engsten Freundes
hinwegzukommen. Dass das Zeichen des Todes, das seither über ihm zu schweben
schien, allmählich verblasste. Doch in letzter Zeit mehrten sich die
Vorzeichen, dass dem König Gefahr drohte, der Fremde auf dem Thron war nur das
bisher letzte. Vielleicht lag hier der Grund für Paruschjatis schlechten
Schlaf. Sie sah auf. „Heute Nacht habe ich vom Tod meines Vaters geträumt.“
Barsine nahm ihre Hand. „Das tut mir leid! Du und deine
Familie, ihr habt so Schreckliches erlebt – kein Wunder, dass du dich davor
fürchtest, dass der König stirbt. Aber das muss nicht zwangsläufig mit
Blutvergießen verbunden sein. Und außerdem“, Barsine begann zu lächeln, „glaube
ich trotz aller mysteriösen Vorzeichen nicht, dass Alexander vorhat, so bald zu
sterben.“
Ein Raunen ging durch den Saal. Paruschjati und Barsine
hoben die Köpfe. Eine Frau spazierte zwischen den Gästen umher, von zwei
Dienerinnen begleitet. Sie war sorgfältig nach der neuesten westlichen Mode
zurechtgemacht, trug einen schneeweißen Chiton und einen Kranz aus roten Rosen
auf dem Kopf.
„Was will die denn hier?“, hörte Paruschjati es aus mehreren
Richtungen flüstern. Auch sie hatte die Frau sofort erkannt: Thais, die
berühmte (oder eher berüchtigte) Hetäre. Der Grund für das entrüstete Gemurmel
lag keineswegs nur in ihrem anstößigen „Beruf“. Die meisten Anwesenden waren
Perserinnen. Jede Einzelne von ihnen erinnerte sich noch gut an Persepolis.
Thais war es gewesen, die den König vor einigen Jahren dazu angestiftet hatte,
zum Zeichen seines Sieges den wunderbaren Palast niederzubrennen, der der Stolz
aller Perser gewesen war.
Zu ihrem Schrecken bemerkte Paruschjati, dass Thais
zielstrebig auf ihre Gruppe zusteuerte. Artakama presste die Lippen zusammen
und blickte angestrengt zur Wand. Sie war die Frau von Ptolemaios, einem der
sieben Königlichen Leibwächter, und allen war bekannt, dass Thais seine langjährige
Mätresse war.
„Königin Parysatis, Barsine und all die anderen reizenden
Damen hier“, flötete Thais auf Griechisch, während sie sich graziös in alle
Richtungen verneigte. „Ein wunderbares Fest, findet ihr nicht auch? Sehr
stilvoll und elegant!“
„Hast du dich vielleicht verlaufen?“, fragte Barsine mit
ironischem Lächeln. „Du bist im Neuen Palast, hier gibt es nur Frauen. Sicher
wolltest du zu den Männern in den Alten Palast.“
„Aber nein“, sagte Thais und wedelte sich mit ihrem Fächer
Luft zu. „Ich wollte unbedingt einmal ein Fest persischer Damen sehen.
Natürlich verlangt die Höflichkeit, dass ich zuerst den Gastgeberinnen meine
Aufwartung mache.“
Jemand musste Bagodara alarmiert haben, denn der
Oberhofmeister nahte an der Spitze eines Trupps entschlossen blickender
Eunuchen. Thais warf ihnen einen abschätzigen Blick zu. Vermutlich wurde ihr
gerade klar, dass sie den Rückzug
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