Die Perserinnen - Babylon 323
ihren Oberarm und bewahrte sie vor dem Fallen. „Was tust du denn
hier?“, fragte eine Stimme amüsiert. Sie gehörte zu einem griechisch
gekleideten Mann in den Dreißigern, mit kastanienbraunen Locken, grünen Augen
und einem Grinsen, das unter anderen Umständen charmant gewirkt hätte.
Medios! In seinem Quartier hatte das Bankett stattgefunden,
auf dem der König vergiftet worden war! Und er war nicht allein. Ein anderer
Mann drängte sich zu ihnen durch die Menge. „Na, wen haben wir denn da? Die
Barbarenkönigin! Und noch dazu in Verkleidung. Bist du hier, um zu spionieren?
Das Intrigieren liegt euch Persern ja im Blut.“
Kassandros grinste gehässig. „Obwohl ja auch die Griechen
notorische Intriganten und Lügner sind. So wie der Schreiberling, den du mir
auf den Hals gehetzt hast. Überall läuft er herum und stellt neugierige
Fragen.“
In dem Gedränge tat sich eine winzige Lücke auf. Jetzt
oder nie. Paruschjati versetzte Medios, der immer noch ihren Arm umklammert
hielt, einen Fausthieb auf die Nase. Sein Griff lockerte sich für einen
Augenblick. Paruschjati riss sich los, schlüpfte durch die Lücke, die sich
hinter ihr sofort wieder schloss, und lief in die Abzweigung, lief immer
weiter, während sich Medios und Kassandros fluchend hinter ihr durch das
Getümmel zu kämpfen versuchten.
Paruschjati rannte den Gang hinunter, sie wusste, ihre
Verfolger würden sich nicht lange aufhalten lassen. Sie musste versuchen, im
Labyrinth der Gänge und Höfe unterzutauchen, ehe sie sie eingeholt hatten.
Unglücklicherweise kannte sie sich in diesem Teil des Palasts nicht aus, und
der Korridor schien kein Ende zu nehmen. Endlich eine Abzweigung. Sie bog in
einen weiteren Gang und schlüpfte durch eine Tür.
… und fand sich in einem großen Saal wieder. Außer Atem
blieb sie stehen. In der Mitte, auf einem mit purpurfarbenem Tuch
ausgeschlagenen Katafalk, stand eine Bahre. Die reglose Gestalt darauf war in
eine Prunkrüstung gehüllt. Die Totenbahre des Königs. Um sie herum und an der
Flügeltür am anderen Ende des Raumes hielten Pagen die Totenwache. Die Jungen
starrten Paruschjati überrascht an. Ebenso der Trupp Eunuchen am Kopfende des
Katafalks.
Auch Bagauva starrte Paruschjati an, sein Gesichtsausdruck
hätte nicht anders sein können, wenn eine Ratte vor seinen Augen durch den Saal
geflitzt wäre. Paruschjati wandte sich um zur Flucht, doch da traten auch schon
Kassandros und Medios durch den Seiteneingang. Paruschjati saß in der Falle
zwischen ihnen auf der einen und Bagauva auf der anderen Seite. Sie warf einen
Blick hinüber zu den Pagen – vielleicht würden sie ihr helfen, wenn sie sich zu
erkennen gab. Doch dann stach ihr einer der Jungen ins Auge. Er brachte das
Kunststück fertig, durchaus ansprechend auszusehen und zugleich Kassandros sehr
ähnlich zu sein. Kein Wunder: Er war dessen jüngerer Bruder – Jolaos, der
königliche Mundschenk. Der im Verdacht stand, dem König Gift in den Wein getan
zu haben! Innerlich stöhnte Paruschjati auf. Offenbar hatten sich sämtliche
Intriganten und Verschwörer in diesem Saal versammelt, um ihr aufzulauern.
Medios wischte sich das Blut von der Nase. Der Blick seiner
blauen Augen war kalt wie Eis, und Paruschjati fragte sich, wie er sie je an
Hephaistion hatte erinnern können. Kassandros kam drohend näher. „Jetzt wird
abgerechnet“, bellte er. „Der Schmierfink verbreitet überall Lügen über mich
und meinen Vater – glaubst du, ich weiß nicht, dass du dahintersteckst? Den
Verleumder habe ich schon zum Schweigen gebracht, und jetzt bist du dran.“
Deshalb also hatte Paruschjati nichts mehr von Ephippos
gehört. Womöglich war der Schriftsteller doch noch im Euphrat gelandet, wie
Eumenes es ihm prophezeit hatte.
Kassandros bleckte die Zähne. „Ich stopfe dir das
Schandmaul, ein für alle Mal.“
„Möglicherweise“, sagte eine sanfte Stimme, „aber nicht hier
und jetzt.“
Kassandros fuhr herum. „Wie?“
Bagauva trat näher. „Ich sagte: nicht hier und nicht jetzt.
Wenn du dich unbedingt wie der brutale Barbar aufführen willst, der du bist:
Bitte, ich habe nichts dagegen. Aber nicht in der erlauchten Gegenwart des
Königs.“
Kassandros starrte Bagauva an wie vom Donner gerührt. „Du
wagst es, mir Vorschriften zu machen? Eine verabscheuungswürdige Kreatur wie du
nennt mich einen Barbaren?“ Er zog sein Schwert.
Plötzlich hielt Bagauva einen Dolch in der Hand, der genau
so gemein und gefährlich aussah wie das
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