Die Perserinnen - Babylon 323
stand ihr die Vergangenheit vor Augen.
Wieder war ein König tot, gleich würden losgelassene Horden durch den Palast
toben und alles niedermachen, was sich nicht wehren konnte. „Wir müssen fort
von hier!“
„Warte“, hielt Barsine sie auf. „Perdikkas wird nicht
zulassen, dass sie den Palast plündern.“
„Ja, verschwinde, Meleagros!“, hallte Perdikkas’ Stimme von
unten herauf. „Und nimmt deine Unruhestifter mit!“
„Wir müssen hier raus!“, sagte Paruschjati.
„Warte noch. Wir müssen überlegen, was wir tun sollen. Wenn
du einfach losrennst, läufst du den Plünderern direkt in die Hände. Hier in
diesem Raum sind wir vorläufig sicher. Niemand weiß von ihm.“
„Aber wir müssen die anderen Frauen warnen!“
„Natürlich, aber lass mich nachdenken.“ Barsine überlegte
fieberhaft, während Paruschjati wieder zum Fenster trat. Meleagros bahnte sich
einen Weg zum Ausgang, und eine erstaunlich große Menge folgte ihm, darunter
auch Holkias.
Perdikkas unternahm nichts, um sie aufzuhalten. Die Arme vor
der Brust verschränkt, blickte er ihnen spöttisch nach. „Jetzt, wo die
Störenfriede sich davonmachen, können wir uns wieder den wichtigen Fragen
zuwenden. Roxane mag eine Barbarin sein, aber darauf kommt es nicht an. Ihr
Sohn ist auch der Alexanders und zugleich ein Enkel Philipps. Nur das zählt.
Und selbst wenn es anders wäre: Es gibt sonst niemanden, der für die Nachfolge
infrage kommt …“
„Was ist mit Arridaios?“ Der Ruf war aus der Mitte der Menge
gekommen, Paruschjati konnte nicht erkennen, von wem.
„Arridaios?“, fragte Perdikkas erstaunt.
„Arridaios ist Alexanders Bruder, auch er ist ein Sohn
Philipps.“ Der Sprecher, ein einfacher Soldat, drängte sich durch die Menge,
die sich bereitwillig für ihn teilte.
Meleagros, schon fast am Ausgang, blieb wie angewurzelt
stehen, und Paruschjati schöpfte wieder Hoffnung. Alles, was Meleagros und
seine Plünderer aufhielt, war ihr willkommen. Immer wieder wurde Arridaios’
Name gerufen, erst vereinzelt, dann immer öfter.
„Was soll das Geschrei?“, brüllte Peithon. „Wollt ihr allen
Ernstes Arridaios zum König machen?“
„Warum nicht?“, rief Meleagros und drehte sich mit einem
Ruck um.
„Vielleicht, weil er nicht ganz richtig im Kopf ist?“,
fragte Peithon sarkastisch.
Meleagros schob sich mit seinen Anhängern wieder nach vorn.
„Im Gegensatz zu allen anderen Anwärtern, die ihr uns andrehen wollt, hat er
immerhin den Vorzug, erwachsen zu sein. Der einzige erwachsene Mann des
Königshauses. Er ist der rechtmäßige Thronerbe!“
„Er ist schwachsinnig!“, schrie Peithon. „Ein sabbernder
Idiot! Seine Mutter war eine billige Tänzerin!“
Peithon erging sich weiter in wüsten Beschimpfungen, doch
seine Ausfälle schienen die Menge weniger gegen Arridaios aufzubringen als gegen
ihn selbst. Immer mehr wurden die Stimmen, die „Wir wollen Arridaios!“ riefen
und „Der Sohn Philipps!“ und „Es lebe König Arridaios!“, bis schließlich der
halbe Saal seinen Namen zu skandieren schien. Die Idee, Arridaios zum König
auszurufen, erschien Paruschjati absurd, doch für sie war im Moment nur
wichtig, dass Meleagros jetzt ein neues Ziel vor Augen hatte.
Der Saal kochte, die Parteien standen sich unversöhnlich
gegenüber und versuchten, einander zu überbrüllen. Doch Arridaios’ Anhänger
waren in der Minderzahl. Langsam, aber sicher wurden sie in Richtung Ausgang
gedrängt. Schließlich sahen sie ihre Niederlage ein und verschwanden unter
lautem Protest. Im Saal wurde es langsam wieder ruhiger.
„Lass uns gehen“, sagte Barsine. „Es ist entschieden, Perdikkas
hat gewonnen. Wir müssen die anderen Frauen warnen, dass Meleagros womöglich
den Palast plündern lässt.“
Im Erdgeschoss war kein Durchkommen, der Hof war fest in der
Hand von Meleagros’ aufgebrachten Anhängern, mühsam zurückgehalten von den
Schildträgern. Also folgten Paruschjati und Barsine dem Gang, der den Thronsaal
vom Trakt der königlichen Gemächer trennte, in der Hoffnung, einen anderen Weg
heraus zu finden. Als sie eine Einmündung erreichten, schwoll hinter ihnen der
Lärm hörbar an. Meleagros’ Männer durchbrachen die Kette der Schildträger und
drangen in den Korridor ein. Die Frauen wurden geradezu überrannt. Barsine,
Mannuja und die Dienerinnen wurden von dem Andrang fortgerissen, plötzlich fand
sich Paruschjati allein wieder.
Sie erhielt einen Stoß und strauchelte. Ein fester Griff
legte sich um
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