Die Perserinnen - Babylon 323
hochrangigen Damen war nur Barsine schon da. Sie stand mit
ihrer Tochter, ihren Schwestern und Schwägerinnen in der Nähe des Hauptportals,
von wo aus Oberhofmeister Bagodara mit seinen Eunuchen das Geschehen
dirigierte.
Aus der Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Saales trat
Statira mit ihrem Gefolge. Wie immer befand sich ihre Schwester an ihrer Seite,
doch von der Königinmutter war nichts zu sehen. Sicherlich war die alte Frau zu
schwach, um die Strapaze auf sich zu nehmen. Außerdem hatte auch sie ihren
Abschied längst genommen.
Statira nickte hoheitsvoll nach allen Seiten, während sie
durch die Menge schritt. „Es kann losgehen“, sagte sie zu Bagodara, überzeugt,
dass alle nur auf ihr Erscheinen gewartet hatten.
„Die Königin Raukschana ist noch nicht da“, wagte der
Oberhofmeister einzuwenden.
Statira fixierte ihn herablassend. „Wenn diese Dame es nicht
schafft, pünktlich zu erscheinen, gehen wir eben ohne sie.“
Bagodara bestand darauf zu warten. Paruschjati nutzte die
Verzögerung, um durch eines der Seitenportale zu schlüpfen, hinaus auf einen
Innenhof, in der Hoffnung, dass die Luft dort draußen ihr guttun würde. Im Hof
hatten Schildträger Aufstellung genommen und bewachten alle Zugänge. Seleukos
erfüllte seine Pflichten offenbar gewissenhaft.
Paruschjati warf einen Blick zum Himmel. Noch immer verbarg
sich die Sonne hinter einer dicken Wolkendecke. Es wäre typisch gewesen, dachte
Paruschjati, wenn sich der König mit Blitz und Donner von der Welt
verabschiedet hätte, das wäre genau sein Stil gewesen. Doch nichts dergleichen
war geschehen. Die Wolken hatten weder Regen noch eine kühlende Brise
mitgebracht. Im Gegenteil, durch die drückende Wolkendecke war die Luft womöglich
noch stickiger.
„Pst!“
Im Schatten einer griechischen Säulenhalle, die jemand,
wahrscheinlich der umtriebige Harpalos, hier nachträglich eingebaut hatte,
zeichnete sich eine schmale Gestalt ab. Sie war wie ein Eunuch gekleidet und
winkte. Paruschjati konnte sich nicht vorstellen, dass sie gemeint war. Sie
wandte sich ab und machte Anstalten, wieder hineinzugehen.
„Pst!“ Das Gestikulieren verstärkt sich. Ein skandalöses
Benehmen für einen Eunuchen. Paruschjati war viel zu angeschlagen, um Sinn für
solche Mätzchen zu haben. Dann erkannte sie, wer es war.
Sie ging zu ihm hinüber. „Was machst du hier noch?“,
flüsterte sie. „Der König ist tot – ich habe gehofft, du hättest dich längst in
Sicherheit gebracht!“
Vahauka zuckte die Schultern. „Ich kann meine Großmutter und
meine Schwestern nicht im Stich lassen.“
„Aber es könnte gefährlich für dich werden! Du bist der Sohn
des letzten Großkönigs. Perdikkas oder Meleagros – wer von beiden auch immer
das Rennen macht, er wird in dir eine Gefahr sehen ...“
„Und wenn schon? Mein Leben war bereits vor vielen Jahren zu
Ende.“
„Sag nicht so etwas! Und was soll die Verkleidung? Warum
bist du nicht bei den Persern?“
„Keiner von ihnen würde eine Hand für mich rühren. Für sie
bin ich nur der Sohn des Feiglings.“
Sie wünschte, sie hätte das mit gutem Gewissen bestreiten
können. „Aber dein Onkel …“
„Okschatra interessiert sich nur für den Sohn, den Statira
vielleicht bekommt. Ich bin ihm genauso egal wie allen anderen. Niemanden
kümmert, was aus mir wird, niemanden außer meiner Großmutter. Und sie ist zu
krank, um mir helfen zu können. Nein, ich habe mir ein Versteck im Palast
gesucht, niemand wird mich dort finden. Und wenn ich mich doch einmal nach
draußen wage …“ Vahauka zupfte an seiner Kleidung. „In diesem Aufzug beachtet
mich niemand.“
Er hatte noch keinen Bart, also konnte er oberflächlich als
Eunuch durchgehen. Und es stimmte, niemand achtete besonders auf einen jungen
Eunuchen, der in Erfüllung eines Auftrags unterwegs war. Doch Paruschjati
gefiel nicht, dass Vahauka ganz auf sich gestellt war.
„Kannst du nicht die Königspagen um Hilfe bitten? Sie sind
deine Kameraden.“
„Ich bin ein Fremder für sie.“
„Stratokles und Ilioneus würden dir bestimmt helfen. Und du
irrst dich, es gibt viele Menschen, denen du wichtig bist. Mir zum Beispiel.“
Paruschjati wischte sich den Schweiß von der Stirn, die anhaltende Übelkeit
erschöpfte sie. Sie wünschte so sehr, etwas für Vahauka tun zu können. „Du
könntest dich in meinen Gemächern verstecken.“
„Zu gefährlich, für dich wie für mich.“ Er setzte ein
tapferes Grinsen auf. „Mach dir keine
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