Die Perserinnen - Babylon 323
fünf
großen, in einer Achse angeordneten Innenhöfe, doch diese Räumlichkeiten
standen zurzeit leer, sofern sie nicht von Hofbeamten in Beschlag genommen
worden waren.
Inzwischen hatten sie auch den zweiten Tunnel hinter sich
gelassen und waren im Alten Palast angekommen. Man merkte, dass Frauen hier ein
ungewohnter Anblick waren. Die Männer, die ihnen begegneten, eine bunte
Mischung aus Babyloniern, Griechen, Persern und makedonischen Offizieren,
starrten sie überrascht an.
Sie betraten den monumentalen Torbau, der den mittleren und
zugleich größten der fünf Höfe des Alten Palasts von dem nur geringfügig
kleineren trennte, an dem die Privatgemächer des Königs lagen. Dann stiegen sie
die Stufen hinauf ins Obergeschoss und blickten von der Galerie hinab auf den
riesigen, mit quadratischen Tonplatten gepflasterten Hof. Seine rechte Seite
wurde auf ganzer Länge von der Fassade des Thronsaals abgeschlossen, die mit
glasierten Ziegeln verkleidet war. Sie schimmerten in dem satten Blauton, der
für Babylon charakteristisch war, doch es gab auch andere Farben: Weiß, Gelb,
Braun sowie ein etwas helleres Blau.
Bei dem großen Altar, ungefähr in der Mitte des Hofes,
wartete ein weißer Stier mit vergoldeten Hörnern und einem Kranz um den
massigen Nacken, umgeben von einer Schar weißgekleideter Männer mit
Stirnbinden.
„Das sind die Jauna-Priester“, erklärte Paruschjati ihrer
Nichte. „Den Stier wird der König gleich seinen Göttern opfern. Danach wird
sein oberster Zeichendeuter aus den Eingeweiden die Vorzeichen für den heutigen
Tag lesen.“
„Ich weiß“, erwiderte Faiduma. „Ich habe vorgestern schon
einmal zugeschaut.“
„Ach ja, richtig, das hatte ich vergessen.“
Ein wenig abseits von den griechischen Priestern warteten
die Chaldäer, die Priester des Marduk und der anderen babylonischen Götter.
Dann gab es da noch eine dritte Gruppe: die Magier, die persischen
Feuerpriester; ihre Köpfe waren von einer eng anliegenden Kapuze umhüllt, die
auch Mund und Nase bedeckte, damit der Atem der Priester das heilige Feuer
nicht verunreinigte. Auf Außenstehende mussten die Magier dadurch wie
Verschwörer wirken. Alle drei Gruppen von Gottesdienern hielten sich streng
voneinander getrennt und warfen sich gegenseitig misstrauische Blicke zu, als
seien sie aufeinander eifersüchtig, was sie vermutlich auch waren.
Paruschjati fasste nach dem Amulett um ihren Hals. Sie
fühlte sich bereits ein wenig besser – vielleicht hatte der Schutzzauber schon
gewirkt, vielleicht war es aber auch Philippos’ Medizin gewesen oder beides.
Ihr war es egal, Hauptsache, die quälende Übelkeit war verschwunden.
„Die Chaldäer sind berühmt für ihre Kunst, die Vorzeichen zu
deuten“, sagte Mannuja. „Vielleicht solltest du dir von ihnen deine Träume
deuten lassen.“
„Ja, vielleicht.“ Paruschjati hörte nur mit halbem Ohr zu,
sie war tief in Gedanken.
Mannuja und Sissingambri hatten sie
es zu verdanken gehabt, dass sie den Mord an Arescha und seiner Familie
überlebt hatten. Doch ihre Angst war danach nicht kleiner geworden, im
Gegenteil. Bagauva hatte bereits zwei Großkönige getötet, er würde auch vor dem
Mord an einem dritten nicht zurückschrecken, sollte der es wagen, sich ihm zu
widersetzen.
In vielen Nächten schreckte Paruschjati schweißgebadet aus
dem Schlaf, weil sie geträumt hatte, Darajavahusch sei tot. Wenn sie dann starr
vor Angst in ihrem Bett lag, fragte sie sich, ob es in dieser Nacht so weit war
– ob die gütige Mutter des Königs und seine schöne, aber dumme Gemahlin gerade
in ihren Gemächern ermordet wurden. Und was mit den Kindern geschah, mit
Statira, Amaschtri und Drupati und dem kleinen Vahauka. Und wie lange es dauern
würde, bis die Mörder auch an Damaspias Tür klopften. Der Tod des Großkönigs
würde ihrer aller Ende bedeuten. Darajavahusch durfte nicht sterben. Nur
solange er lebte, lebten auch sie. Ganz allein in der Dunkelheit liegend,
betete Paruschjati zu Ahura Mazda, damit er Darajavahusch beschützte.
Drei Monate nach seiner Thronbesteigung gab der neue
Großkönig ein Fest zum Geburtstag seines Sohnes Vahauka, der jetzt ja der Erbe
des Throns war. Der Bankettsaal des Palasts war voller Gäste. Sie ruhten auf
Möbeln mit Elfenbeinintarsien und weichen Polstern, tranken exquisiten Wein,
aßen die erlesenen Speisen und lauschten der Musik. Der Großkönig tafelte mit
seiner Familie in der Mitte des Saales. Damaspias und Paruschjatis Plätze
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