Die Perserinnen - Babylon 323
vorgehalten, und die Übelkeit machte ihr
so zu schaffen, dass sie bereit war, es mit Pazuzu zu versuchen, trotz seines
nicht eben vertrauenerweckenden Äußeren. Außerdem wollte sie Mannuja nicht vor
den Kopf stoßen. Sie schwang die Beine aus dem Bett, rief nach Ischna und
Pusurisch, die ihr beim Anziehen helfen sollten, und ließ Aspamithra Bescheid
geben, dass ihr Gefolge sich zum Ausgang bereitmachen sollte.
„Wohin willst du?“, fragte Frataguna besorgt. „Doch nicht
etwa zum Ninmach-Tempel?“
„Nein, in den Alten Palast. Ich will mich davon überzeugen,
dass der König das Opfer heute wieder selbst darbringt.“
„In deinem Zustand solltest du dich nicht überanstrengen!“
„Frataguna, bitte!“
„Ich finde es hier unheimlich“, beklagte sich Frataguna.
„Warum müssen wir ausgerechnet diesen Weg nehmen?“
Der Gang, dem sie folgten, war eng und düster und die Luft
darin abgestanden. Obendrein roch es streng nach Asphalt und dem zweifelhaften
Inhalt des Kanals, den sie zuvor überquert hatten. Die gewölbte Decke und die
Wände bestanden aus verwitterten Ziegeln, und die Länge des Ganges vermittelte
einen Eindruck von der gewaltigen Dicke der Stadtmauer, durch die er
hindurchführte. Zwar war die Mauerkrone keineswegs so breit, dass zwei
Viergespanne auf ihr aneinander vorbeifahren konnten, wie griechische Fantasten
gern behaupteten, aber immerhin noch so breit wie eine Hauptstraße in so
mancher anderen Stadt.
„Dies ist der kürzeste Weg vom Neuen Palast, in dem wir
Frauen unsere Quartiere haben, zur Residenz des Königs im Alten Palast“,
erklärte Paruschjati ihrer Schwester. „Eine Art Schleichweg.“
„… den normalerweise nur das Palastpersonal benutzt“,
ergänzte Mannuja, die hinter ihnen ging. Auf keinen Fall jedoch, so die
unausgesprochene Fortsetzung, Leute von Rang, geschweige denn königliche Damen
mit ihrem Gefolge.
Sie hatten den Gang hinter sich gelassen und betraten nun
den Zwischenraum, der die äußere Mauer von der zweiten, inneren, trennte. Beide
Mauerzüge ragten so weit in die Höhe, dass zwischen ihnen oben kaum ein
Streifen Himmelsblau zu erkennen war.
„Die Alternativen wären lange Umwege“, fuhr Paruschjati fort.
„Wir müssten entweder durch die Parkanlagen am Fluss gehen oder hinaus auf die
Prozessionsstraße und dann durch das Ischtar-Tor, wo es von Menschen nur so
wimmelt. Beides würde ewig dauern. Und da wir es vor Beginn der Zeremonie noch
in den Alten Palast schaffen wollen, bleibt uns nur dieser Weg.“
Sie betraten den Gang, der durch die innere, sogar noch
dickere Mauer hindurchführte und dadurch wie ein Tunnel wirkte.
„Aber der Neue und der Alte Palast liegen doch gleich
nebeneinander“, beschwerte sich Frataguna weiter. „Ich verstehe nicht, warum
man eine so große Mauer zwischen ihnen gebaut hat.“
„Das hat man auch nicht“, erläuterte Faiduma. „Der Alte
Palast und die Mauer waren zuerst da. Nabukudrassara, der letzte König von
Babiru, hat beides bauen lassen. Dann wollte er einen zweiten Palast haben, und
weil innerhalb der Stadtmauern kein Platz mehr war, ließ er ihn jenseits davon
errichten, gleich nördlich vom Alten Palast. Das hat mir Großvater erzählt.“
Mazdai, Vidarnas Vater, war lange Satrap von Babylon gewesen, ehe er vor
einigen Jahren gestorben war. Faiduma war in der Stadt aufgewachsen. „Nabukudrassara
hat eine Terrasse anlegen lassen, auf der sein Neuer Palast wie ein Gebirge
emporragt. Angeblich dauerte der Bau nur fünfzehn Tage, aber das kann ich mir
nicht vorstellen. Der Palast ist mit Kostbarkeiten vollgestopft, zum Beispiel
mit Kunstwerken, die Nabukudrassara aus allen von ihm eroberten Ländern
hergeschafft hat …“
„Ich bin sicher, Paruschjati kennt den Palast, in dem sie
wohnt“, unterbrach Frataguna ihre Tochter. „Aber warum hat man die Mauer
zwischen den beiden Palästen nicht einfach abgerissen?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht war es zu viel Arbeit.“
„Oder König Nabukudrassara war froh, eine doppelte Mauer
samt Wassergraben zwischen sich und seinen Frauen zu wissen“, mischte sich
Paruschjati ein. Zumindest, dachte sie sarkastisch, dürfte das für König
Alexander zutreffen, der seinen Frauen meistens wenig Aufmerksamkeit schenkte.
Was den baufreudigen babylonischen König betraf, so war der Verdacht gegen ihn
wahrscheinlich unbegründet, denn auch im Alten Palast war ein geräumiger Trakt
für den Hofstaat einer Königin vorgesehen. Er lag am westlichsten der
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