Die Perserinnen - Babylon 323
Lampen wie dunkle Teiche,
die in tiefem Schatten lagen. „Ich glaube, dass die Armee morgen früh nicht
aufbrechen wird. Und dass der König viel kränker ist, als alle zugeben.“
Die
Pforte der Götter
7
Sehnsüchtig
sah Paruschjati hinüber zu den Bergen, die sich in der klaren Luft scharf vor
dem Himmel abzeichneten. Die alte Stadt Damaschka lag am Fuß einer hohen
Bergkette, die schon jetzt, im Herbst, mit Schnee bedeckt war. Paruschjati
stellte sich vor, wie es wäre, über die unberührten, pulvrig glitzernden
Flächen zu laufen und ihre Spur darauf zu hinterlassen. Wie die meisten Kinder
in ihrem Alter – sie war gerade zehn geworden – liebte sie Schnee über alles.
Nach der Überschreitung des Ufratu war der Großkönig mit
seinem Heer weiter nach Nordwesten marschiert, dem Feind entgegen. Seine
Familie hatte ihn begleitet, während der Rest des Hofstaats mit den Familien
der Kschatrapavan südwestlich nach Damaschka gezogen war. Der Wagenzug und
seine militärische Eskorte standen unter dem Befehl von Kaufan, einem von
Barschinas zahlreichen Brüdern. Seit der Krieg begonnen hatte, schien ihre
Familie allgegenwärtig zu sein.
Paruschjati kam gern hier herauf auf die Festungsmauer, um
der drangvollen Enge zu entkommen. Die Unterstadt, wo die Dienerschaften
Quartier bezogen hatten, platzte aus allen Nähten, doch auch der Palast auf dem
Burgberg war hoffnungslos überfüllt. Der Hof hatte sich eingerichtet, so gut es
ging, und wartete auf die Siegesnachricht aus dem Norden. Alle rechneten damit,
dass sie bald kommen würde, doch die Zeit zog sich hin. Der Herbst ging
vorüber, der Winter stand vor der Tür, und es wurde allmählich kalt.
Amaschtri zog ihren Umhang über der Brust zusammen und warf
Paruschjati einen vorwurfsvollen Blick zu, weil sie sie hier herauf in die
Kälte geschleppt hatte. Wahrscheinlich war sie nur aus Langeweile mitgekommen.
Zu ihrer Enttäuschung hatte sie nicht bei Statira und Drupati bleiben dürfen,
sondern war mit dem Tross nach Damaschka geschickt worden. Dagegen schien es
Artaunisch und Artakama hier oben trotz der Kälte gut zu gefallen. Barschinas
jüngere Schwestern waren etwa im gleichen Alter wie die beiden anderen Mädchen.
Gerade beugten sie sich über die Brüstung und deuteten aufgeregt nach unten.
Ein Reiter war durch das Tor in den äußeren Hof gesprengt
und vor dem Haus des Festungskommandanten vom Pferd gesprungen. Er trug das
Gewand eines königlichen Meldereiters, das mit einer Staubkruste überzogen war.
Die Flanken seines Pferdes zitterten vor Erschöpfung.
Paruschjati und die anderen Mädchen rannten die Stiege des
Turmes hinunter, quer über den Hof und dann weiter in die Frauenquartiere. Die
große Halle füllte sich bereits mit Frauen, Kindern und Eunuchen. Ihr Lachen
und ihre Rufe verbanden sich zu einem Gewebe hell klingender Stimmen, voll freudiger
Erwartung. Dienerinnen schenkten Wein aus, Hände griffen nach Bechern, um den
Sieg des Großkönigs zu feiern.
Der Bote verschwand hinter der Tür, die zu den Gemächern der
Königinmutter führte. Es dauerte nicht lange, da ging eine Bewegung durch die Menge.
Wie eine Welle breitete sie sich von der Tür aus, und wohin immer sie brandete,
erstarb das Lachen, verschwand die Zuversicht aus den Gesichtern und wich einem
Ausdruck völliger Fassungslosigkeit. Paruschjati entdeckte Barschina mit ihrer
Familie in der Nähe der Tür. Entschlossen drängte sie sich zu ihr durch die
Menge.
„Was ist passiert?“
Barschinas Augen schienen an Paruschjati vorbei ins Leere zu
starren. „Der Großkönig ist besiegt worden.“
Alle in Hörweite schlugen die Hand vor den Mund, stumm vor
Entsetzen. Dann wurden die ersten Schreckensschreie laut.
„Ist er tot?“, flüsterte Paruschjati.
„Der Bote weiß es nicht.“
Der Tag ging zu Ende, ohne dass jemand Notiz davon nahm, die
Nacht zog vorüber, und niemand schien es zu bemerken. Verwirrung und Schrecken
hatten sich wie eine alles erstickende Wolke über den Palast und die Stadt
gesenkt. Die meisten Frauen warteten in der Halle verzweifelt auf Nachrichten
über das Schicksal ihrer Männer, Brüder, Söhne. Niemand weinte, niemand klagte,
alle schienen wie erstarrt zu sein. Das Undenkbare war eingetreten: Der
Großkönig war besiegt worden. Ständig trafen neue Nachrichten ein, von
Blutvergießen und Chaos, oft widersprach eine der anderen. Erst nach und nach
kristallisierte sich etwas wie Klarheit heraus: Der Großkönig lebte, er befand
sich auf der
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