Die Perserinnen - Babylon 323
vergewissert, dass Paruschjati bestimmt erscheinen
würde.
Gegen Abend ließ Paruschjati ihren Wagen anspannen und fuhr
mit Faiduma und ihrem Gefolge durch Babylons geschäftige Straßen. Das Gedränge
war erdrückend, wie immer um diese Zeit, wo die schlimmste Hitze bereits
nachgelassen hatte, und der Wagen kam nur langsam voran. Wahrscheinlich wären
sie schneller gewesen, dachte Paruschjati, wenn sie zu Fuß gegangen wären, doch
das wäre natürlich undenkbar gewesen. Schließlich kam der Verkehr ganz zum
Erliegen. Paruschjati schob den Vorhang zur Seite und blickte hinaus. Weiter
vorn schien es ein Problem mit einem Eselskarren zu geben.
„Schau, die Frau da!“ Faiduma zeigte auf eine griechisch
gekleidete Frau, die in dem Gedränge fast erdrückt wurde. Sie presste einen
großen Lederbeutel an sich wie einen Schatz. Jemand rempelte sie an, und sie
stolperte und fiel zu Boden.
„Die Ärmste“, fuhr Faiduma fort. „Ich glaube, sie will in
die gleiche Richtung wie wir. Können wir sie nicht ein Stück mitnehmen?“
„Ausgeschlossen“, sagte Mannuja. „Vornehme Damen sammeln
nicht einfach wildfremde Leute auf der Straße auf.“
Die Unbekannte war einfach gekleidet, sah aber zumindest
nicht wie eine Hetäre aus. Daher sagte Paruschjati: „Warum sollten wir nicht
ein wenig hilfsbereit sein?“
„Aspamithra wird einen Anfall bekommen!“
„Wir sagen es ihm einfach nicht.“
Sie schickte Artaschura los, um der Fremden auf die Beine zu
helfen und sie zum Wagen zu führen. Mannuja presste die Lippen zusammen, als
sie hereinkletterte.
„Wie nett von euch, mich mitzunehmen! Ich dachte schon, ich
werde in der Menge zerquetscht oder stecke den halben Abend fest“, zwitscherte
die Unbekannte. Sie setzte sich Paruschjati und Faiduma gegenüber und beförderte
ihren Beutel schwungvoll auf den Platz neben sich. Dann wurden ihre grauen
Augen groß. „Ich erkenne dich, du bist Königin Parysatis! Ich habe dich von
Weitem auf dem Abschiedsfest für Nearchos gesehen.“
Die Unbekannte trug einen einfachen, blauen Chiton mit einem
etwas fadenscheinigen Schleier. Sie war klein und zierlich, hatte hellblonde
Haare und erinnerte Paruschjati dadurch ein wenig an Atalante. Allerdings hatte
sie ein viel sympathischeres Gesicht als Perdikkas’ herbe Schwester. Sie schien
außerdem ziemlich redselig zu sein.
„Wie schön, dass eine leibhaftige Königin gegenüber
einfachen Leuten wie mir so hilfsbereit ist … ach, wie unhöflich von mir, ich
habe vergessen, mich vorzustellen: Ich bin Nikobule aus Kolophon und unterwegs
zum Haus einer persischen Dame, die heute Abend ein Abschiedsfest für die
Frauen der Soldaten gibt. Obwohl die Armee ja eigentlich …“
„Etwa Apama?“, fragte Paruschjati stirnrunzelnd.
„Ja, so lautet ihr Name.“
Es sah Apama gar nicht ähnlich, griechische Frauen zu sich einzuladen,
vor allem nicht solche von niedrigem Rang. Wollte die Fremde sich etwa mit
ihrer Hilfe bei Apama einschleichen? Womöglich war es doch keine so gute Idee
gewesen, sie mitzunehmen. „Hast du dort etwas Bestimmtes vor?“
„Allerdings.“ Nikobule klopfte auf ihren Ledersack. „Ich
werde aus den Werken meines Bruders vorlesen.“
„Seinen Werken?“
„Kleitarchos ist Schriftsteller!“, verkündete Nikobule
stolz. „Geschichtsschreiber, um genau zu sein. Er möchte in die Fußstapfen
unseres Vaters treten, der ebenfalls ein bekannter Geschichtsschreiber war,
Deinon aus Kolophon – vielleicht hast du schon von ihm gehört?“
Das hatte Paruschjati allerdings, sie kannte sogar eines
seiner Werke, ein Buch über persische Geschichte. Darin hatte Deinon
Haarsträubendes über ihr Volk verbreitet, darunter das Märchen von den
dreihundertsechzig Konkubinen des Großkönigs – eine für jede Nacht des Jahres.
Nikobule kramte in ihrem Sack und zauberte eine Schriftrolle
hervor. „Das hier ist Kleitarchos’ erstes Buch. Ich möchte es euch schenken,
als kleines Dankeschön fürs Mitnehmen.“
Paruschjati hob abwehrend die Hände. „Nein, wir wollen dir
das Buch nicht wegnehmen. Du brauchst es doch sicher zum Vorlesen.“
„Aber nein.“ Nikobule klopfte auf den Beutel. „Wir haben
eine Menge Abschriften anfertigen lassen. Ich hoffe, dass ich heute Abend
einige Exemplare davon verkaufen kann.“
Faiduma erkundigte sich: „Kann man denn davon leben? Ich
meine, indem man Bücher verkauft?“
Nikobule hüstelte. „Im Moment noch nicht. Aber wenn ich
unser Buch den Damen heute Abend vorstellen
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