Die Perserinnen - Babylon 323
seinem Besten, dass er nichts mit den Machenschaften der Verschwörer
zu tun hatte, die an sie herangetreten waren.
„Du bist der einzige Mensch, der gut über meinen Vater
gesprochen hat, deshalb will ich dir etwas anvertrauen: Wenn meine Großmutter
einmal nicht mehr ist, werde ich fortgehen, weit weg. Ich werde irgendwo ein
neues Leben beginnen. Niemand wird wissen, dass ich einmal der Sohn des
Großkönigs war.“
„Was ist mit deinen Schwestern? Willst du sie im Stich lassen?“
„Meine Schwestern brauchen mich nicht. Sie haben ihren Platz
in einer neuen Welt.“
Er drehte sich um und ging, ohne zurückzublicken, und
Paruschjati blieb nichts anderes übrig, als ihren Weg ohne ihn fortzusetzen.
Während sie durch die Gärten zurück zum Neuen Palast ging,
dachte sie weiter über ihn nach. Der König hatte sich gegenüber den Frauen und
Kindern seiner besiegten Feinde stets gnädig gezeigt, sogar den Sohn seines
gefährlichsten Gegenspielers hatte er verschont. Niemand sonst hätte das getan.
Doch so barmherzig der König zu Frauen und Kindern war, so gnadenlos
vernichtete er jeden Mann, in dem er eine Gefahr witterte. Noch war Vahauka ein
Junge, noch war er sicher, doch bald würde er ein erwachsener Mann sein. Was
dann? Er war der Sohn des letzten Großkönigs. Alexander hatte ihm sein
rechtmäßiges Erbe genommen und ihn um den ihm zustehenden Platz im Leben
gebracht. Was musste in ihm vorgehen, fragte sich Paruschjati, während sie den
schattigen Pfaden folgte und wieder einmal in die Vergangenheit eintauchte.
Beißender Gestank lag in der Luft. Tiefschwarzer Qualm trieb
in Schwaden über den Himmel, Asche wurde vom Wind umhergewirbelt, drang durch
alle Ritzen und Fugen und legte sich wie ein schmieriger Film über alles. Der
Rauch machte das Atmen zur Qual, und nachts erhellte der Schein von
Feuersbrünsten die Dunkelheit.
Seit Tagen zogen sie nun schon durch verbranntes Land. Die
Armee der Eroberer und mit ihr der Tross der Gefangenen hatte den Ufratu hinter
sich gelassen und zog weiter nach Osten, durch das Land Athura. Parsa-Reiter
waren in der Nähe, berichteten die Eunuchen immer wieder, doch sie zogen sich
weiter zurück und kamen niemals in Sichtweite. Eingesperrt in ihren Zelten und
Wagen, hätten die Frauen sie ohnehin nicht sehen können. Doch sie waren da, der
Qualm und das Feuer waren der Beweis. Mazdai, der Kschatrapavan von Athura,
hatte Befehl erhalten, den Vormarsch des Feindes aufzuhalten, wie immer er
konnte. Das Heer des Großkönigs stand nur wenige Tagesmärsche weiter östlich.
Es war dreimal so groß wie das, das in der letzten Schlacht besiegt worden war,
die gewaltigste Streitmacht seit Menschengedenken. Das Bewusstsein ihrer Nähe
erfüllte die gefangenen Frauen endlich wieder mit Zuversicht, doch der Anblick
des verbrannten Landes deprimierte sie. Weit und breit war kein Grashalm zu
sehen, kaum ein Baum oder Strauch hatte das Feuer überlebt, alles war schwarz
und tot.
Dann starb Statira, die Gemahlin des Großkönigs. Sie war in
den letzten Monaten immer schmaler und blasser geworden, bis sie schließlich
nicht einmal mehr aufstehen konnte. Sissingambri war fast ununterbrochen bei
ihr, wachte nachts im Zelt an ihrem Bett und saß tagsüber neben ihr im Wagen,
der rüttelnd durch das verwüstete Land rollte. Als es zu Ende ging, beugte sie
sich über sie, strich ihr das Haar aus dem Gesicht und murmelte ein Gebet an
Ahura Mazda, während Statiras Kinder ihre Hände hielten und weinten.
König Alexander kam persönlich, um ihnen sein Beileid
auszusprechen. Er schien aufrichtig um die Königin zu trauern. Obwohl er es
eilig hatte, seinen Gegner zu stellen, ließ er sein Heer mehrere Tage Rast
einlegen, um ihr ein feierliches Begräbnis auszurichten, nicht anders, als sei
eine Verwandte von ihm gestorben.
Vahauka blieb bis tief in die Nacht am Grab, noch lange,
nachdem alle anderen gegangen waren. Paruschjati hatte geahnt, wo sie ihn
finden würde. Sie trat neben ihn und fasste nach seiner Hand.
„Für meine Mutter ist es zu spät.“ Sein Gesicht wirkte
gefasst, wie es sich für den Sohn des Großkönigs gehörte, doch seine Nase und
seine Oberlippe waren rot, und Paruschjati wusste, dass er geweint hatte,
heimlich im Schutz der Dunkelheit. Er war erst acht Jahre alt. „Aber mein Vater
wird kommen und uns alle befreien, und dann wird er Rache nehmen für Mutters
Tod.“
„Rache?“, fragte Paruschjati verwundert. „Niemand ist schuld
daran, dass sie gestorben
Weitere Kostenlose Bücher