Die Perserinnen - Babylon 323
Schleiers.
Hephaistion packte Paruschjati um die Taille und hob sie auf den Rücken des
Pferdes. Sein Griff war fest, und durch den Stoff des Kleides konnte sie die
Wärme seiner Hände fühlen. Paruschjati schwang das rechte Bein über die Kruppe,
sodass sie rittlings auf dem Pferderücken saß und ihr weites Kleid in Falten
rechts und links herabfiel. Hephaistion zögerte einen Augenblick, als überlege
er, ob er das Pferd führen solle. Dann legte er Paruschjati die Zügel in die
Hand.
Paruschjati stieß Xenos leicht die Fersen in die Flanke, und
er reagierte. Hephaistion hatte recht, der Hengst schien unruhig zu sein. Er
tänzelte und nickte mit dem Kopf auf und ab, ein temperamentvolles Tier. Dann
fiel er in einen Paradeschritt, als fühle er, worauf es Paruschjati ankam. Sie
dirigierte ihn in die Mitte der breiten Straße und hielt auf das Ischtar-Tor an
ihrem Ende zu. Hephaistion ging neben ihr her, Damaspia und Mannuja folgten ein
Stück hinter ihnen, beide noch immer misstrauisch und besorgt. Dann kamen der
Wagen, die Eunuchen und die Eskorte von Schildträgern. Für Außenstehende
mussten sie eine eigenartige Prozession bilden.
„Erzähl mir mehr von Persepolis“, sagte Hephaistion.
„Persepolis ist der schönste Ort der Welt!“, beteuerte
Paruschjati. „Der Palast des Großkönigs steht auf einer hohen Terrasse und ist
schon von Weitem zu sehen. Die Luft dort ist klar und rein und der Himmel
scheint höher und weiter zu sein als anderswo.“
Sie sah zu ihm herab und bewunderte sein Profil. Hephaistion
sah nicht nur umwerfend gut aus, fand sie, er war auch stark und mutig. Und
wohl auch mächtig. Innerlich wiederholte sie die Litanei, die sie in den
letzten Jahren so oft in Gedanken rezitiert hatte: mächtig genug, um seine
Frau beschützen zu können, aber nicht so mächtig, dass er wegen seiner Macht
umgebracht wird. Plötzlich kam ihr in den Sinn, wie es wohl wäre, ihn zu
heiraten.
„Ist Persepolis so prachtvoll wie die Paläste hier in
Babylon?“
„Noch prachtvoller! Aber darauf kommt es nicht an.
Persepolis ist anders als die anderen Residenzen des Großkönigs, wie Babylon
und Susa. Oder Hangmatana … das ist Ekbatana.“ Ja, es wäre sicher schön, ihn zu
heiraten. Obwohl er bestimmt viel zu tun hatte, nahm er sich Zeit, freundlich
zu einem kleinen Mädchen mit großer Nase zu sein. Das tat nur ein guter Mensch.
Sie konnte spüren, dass er einer war.
„Was ist an Persepolis so besonders?“, fragte er.
Paruschjati zog die Brauen zusammen, während sie überlegte,
wie sie es ihm am besten erklären konnte. „Die anderen Residenzen haben früher
anderen Völkern gehört, Susa den Elamern, Babylon den Babyloniern und Ekbatana
den Medern. Persepolis gehört nur uns Persern. Gut, Pasargadai gehört ebenfalls
nur uns Persern, das war unsere erste Hauptstadt, dort ist unser König Kyros
begraben. Aber Persepolis – Persepolis ist mehr als nur eine königliche
Residenz. Es ist eher eine Art Heiligtum, nur dass darin keine Götter verehrt
werden, sondern Macht und Größe unseres Reiches …“
Während sie ritt, empfand Paruschjati zum ersten Mal wieder
etwas, was sie seit Langem nicht mehr gespürt hatte. So lange, dass sie nicht
einmal mehr gewusst hatte, wie sehr sie es vermisste: Sie war glücklich. Seit
der Nacht, in der ihr Vater ermordet worden war, hatte sie nichts
Vergleichbares mehr empfunden. Erleichterung, ja, wie beim Tod Bagauvas. Auch
Hoffnung und ein – wie sich herausgestellt hatte, trügerisches – Gefühl der
Sicherheit. Aber nicht Glück.
Sie ritt der Löwenprozession entgegen wie in ein neues Leben.
Und plötzlich besaßen auch die Löwen ihren alten Zauber wieder.
Am Abend, als die Sonne unterging, war der König immer noch
nicht aus dem Sommerpalast zurückgekehrt. Paruschjati begab sich mit ihrem
Gefolge auf die Palastmauer am Euphrat, auf der sich bereits die Schaulustigen
drängten. Es wurde dunkel, doch ihr kam es so vor, als ob die Hitze an diesem
Abend überhaupt nicht nachlassen wollte.
Als das letzte Glühen am westlichen Himmel verloschen war
und der Schein der Fackeln auf der Mauer sich wie ein flimmerndes Band im
Wasser widerspiegelte, wurde endlich die königliche Barke auf dem Fluss
sichtbar, umgeben von einem Schwarm kleinerer Boote. Die Anspannung stieg ins
Unerträgliche. Paruschjati kniff die Augen zusammen. An Deck der Barke wimmelte
es von Menschen, doch keiner von ihnen schien der König zu sein. Vielleicht
befand er sich in dem Zelt,
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