Die Perserinnen - Babylon 323
würde erklären,
warum die Stimmung schon den ganzen Tag über so gedrückt war. „Ich merke doch,
dass du dir wegen etwas Sorgen machst.“
„Ach, es ist nur wegen Ischna. Sie hat heute Morgen eine
Szene gemacht, weil sie sich wegen Faiduma zurückgesetzt fühlt.“
„Aber Faiduma ist meine Nichte!“
„Das habe ich Ischna auch gesagt. Faiduma ist eine
hochgeborene Dame, die Nichte einer Königin. Ischna dagegen ist nur ein
Kammermädchen von einfacher Herkunft.“
Paruschjati runzelte die Stirn. „Worum ging es?“
„Sie hat sich beklagt, dass es früher ihre Aufgabe war, die
Geschenke für deine Besucher zu überreichen. Seit Faiduma im Palast ist, darf
sie das immer tun.“
Paruschjati seufzte. Sie erinnerte sich an die Begegnung mit
Ephippos auf der Stadtmauer. Faiduma hatte dem Schriftsteller ein Goldstück
gegeben, während Ischna nur die Schüssel halten durfte für den Fall, dass
Paruschjati sich übergeben musste. Gerechtigkeit gegenüber jedem, und sei er
noch so arm und gering, gehörte zu den höchsten Geboten Ahura Mazdas. „Ab
sofort wird Ischna zur offiziellen Geschenkeüberreicherin befördert. Für
Faiduma finden wir andere Aufgaben.“
Das Warten auf die Rückkehr des Königs zerrte an den Nerven
aller im Palast, und nicht nur hier, sondern auch in der ganzen Stadt. Die Zeit
schleppte sich scheinbar endlos dahin, war sogar noch quälender als die Hitze.
Gegen Abend, als es allmählich wieder kühler wurde, setzte sich Paruschjati in
den Innenhof und begann, weiter in dem Buch von Nikobules Bruder zu lesen, doch
sie konnte sich nicht richtig konzentrieren. Immer wieder ertappte sie sich
dabei, dass sie statt auf die Buchstaben ins Leere starrte und auf die
Nachricht wartete, die einfach nicht kommen wollte. Sie wartete und wartete,
und dann fielen ihr, ohne dass sie es merkte, die Augen zu.
Majestätisch schritt der Löwe dahin, das Haupt stolz
erhoben, das Maul mit den dolchartigen Zähnen weit aufgerissen. Das satte
Gelbbraun des Körpers und der etwas dunklere Ton der Mähne stachen vom Blau des
Hintergrundes ab, der Farbe, die für Babirus monumentale Architektur so
charakteristisch war.
Paruschjati streckte die Hand aus und berührte die vorderste
Tatze. Der Löwe sah so kraftvoll aus, so lebendig, und war doch nur ein Bild,
zusammengesetzt aus glasierten Ziegeln, mit denen die Mauern rechts und links
von der Prozessionsstraße verkleidet waren, er und seine Artgenossen, die vor
und hinter ihm in langer Reihe marschierten. Auf der anderen Seite der breiten,
mit weißen und roten Steinplatten gepflasterten Straße schritt eine weitere
Prozession von Löwen. Würdevoll und ehrfurchtgebietend zogen sie den Menschen
entgegen, die zwischen den hoch aufragenden Mauern auf das ebenfalls mit blauen
Glasurziegeln verblendete Ischtar-Tor zugingen.
Sie hatte die Löwen schon früher gesehen, wenn der Hof des
Großkönigs durch das Ischtar-Tor in Babiru Einzug hielt. Dann hatte sie sich
aus dem Wagen gelehnt und sich vorgestellt, sie sei eine Königin, wie etwa die
berühmte Samuramat, die in die Stadt einzog und dabei von der Löwenprozession
begrüßt wurde. Doch noch nie hatte Paruschjati sie aus so großer Nähe gesehen.
Sie hatte so lange gebettelt, bis ihre Mutter den Wagen angehalten und erlaubt
hatte, dass sie ausstieg und von Mannuja begleitet ein Stück an der Mauer
entlangspazierte. Paruschjati hob die Hand und ließ ihre Finger über das Relief
der Mähne gleiten. Auch aus der Nähe waren die Löwen atemberaubend, voller
Kraft und Majestät. Und doch … der große Zauber, den ihr Anblick früher auf
Paruschjati ausgeübt hatte, schien erloschen zu sein.
Seither war zu viel passiert. Damals war sie ein Kind
gewesen und hatte auch die Löwen mit den Augen eines Kindes betrachtet. Jetzt
war sie … immer noch ein Kind? Oder nicht mehr ganz? Mit ihren fast dreizehn
Jahren hatte sie schon einiges von der Welt gesehen, und das Wenigste davon war
gut gewesen.
Nach der Niederlage am Haus des Kamels gab es kaum noch
Hoffnung, die Eindringlinge aufhalten zu können. Sie würden weiter vorrücken,
nach Schuscha und dann durch die Berge nach Parsa ins Herz des Reichs. Mazdai,
Vidarnas Vater, konnte Babiru nicht halten, er hatte die Stadt ohne Kampf
übergeben. Unter dem Jubel der einheimischen Bevölkerung zog das feindliche
Heer in die Stadt ein. Danach ernannte Alexander Mazdai zum Kschatrapavan von
Babiru.
Hier hatte Frataguna endlich auch Vidarna wiedergesehen.
Damaspia und
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