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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Ratten!»
    Seit dem April war keine tote Ratte entdeckt worden.
    «Fängt es wieder an?», sagte Tarrou zu Rieux.
    Der Alte rieb sich die Hände.
    «Man muss sie laufen sehen! Das ist eine Freude!»
    Er hatte zwei lebende Ratten von der Straße in seine Haustür hineinlaufen sehen. Nachbarn hatten ihm berichtet, dass auch bei ihnen die Tiere wieder aufgetaucht seien. In manchem Gebälk hörte man wieder das seit Monaten vergessene Hin und Her. Rieux wartete auf die Veröffentlichung der allgemeinen Statistik, die zu Beginn jeder Woche stattfand. Sie zeigte einen Rückgang der Krankheit an.

V
    Obwohl dieser plötzliche Rückzug der Krankheit unerwartet kam, freuten sich unsere Mitbürger nicht vorschnell. Die vergangenen Monate hatten zwar ihre Sehnsucht nach Befreiung verstärkt, sie aber auch Vorsicht gelehrt und daran gewöhnt, immer weniger mit einem baldigen Ende der Epidemie zu rechnen. Trotzdem war dieser neue Sachverhalt in aller Munde, und tief in den Herzen regte sich eine große, uneingestandene Hoffnung. Alles Übrige rückte in den Hintergrund. Die neuen Pestopfer wogen sehr wenig neben dieser überwältigenden Tatsache: die statistischen Zahlen waren zurückgegangen. Dass unsere Mitbürger von diesem Augenblick an gern, wenn auch scheinbar gleichgültig, über die Art und Weise sprachen, wie das Leben nach der Pest neu gestaltet werden solle, war eines der Anzeichen dafür, dass die Ära der Gesundheit, ohne offen erhofft zu werden, doch insgeheim erwartet wurde.
    Alle waren sich darin einig, dass die Annehmlichkeiten des früheren Lebens nicht mit einem Schlag wieder da sein würden und dass es leichter sei, zu zerstören als wiederaufzubauen. Man meinte nur, dass die Versorgung als solche etwas verbessert werden könnte und man so die drückendste Sorge los wäre. Aber in Wirklichkeit trat mit diesen harmlosen Bemerkungen gleichzeitig eine unsinnige Hoffnung zutage, die so stark war, dass unsere Mitbürger sich ihrer manchmal bewusst wurden und dann überstürzt versicherten, die Erlösung komme auf keinen Fall von heute auf morgen.
    Und tatsächlich hörte die Pest nicht von heute auf morgen auf, aber sie verlor schneller an Kraft, als man vernünftigerweise hätte hoffen können. In den ersten Januartagen nistete sich eine ungewohnt lang anhaltende Kälte ein und schien sich über der Stadt zu kristallisieren. Und doch war der Himmel nie so blau gewesen. Ganze Tage tauchte seine unwandelbare frostige Pracht unsere Stadt in ununterbrochenes Licht. In dieser gereinigten Luft schien sich die Pest innerhalb von drei Wochen durch einen ununterbrochenen Rückgang zu erschöpfen, und die Leichen, die sie aufreihte, wurden immer weniger zahlreich. Sie verlor innerhalb kurzer Zeit fast die gesamten Kräfte, die anzusammeln sie Monate gebraucht hatte. Wenn man sah, wie sie eine so sichere Beute wie Grand oder Rieux’ junges Mädchen fahrenließ, wie sie sich in manchen Vierteln zwei oder drei Tage lang verschlimmerte, während sie aus anderen gänzlich verschwand, wie sie am Montag mehr Opfer holte und sie am Mittwoch fast alle davonkommen ließ, wenn man sah, wie sie so außer Atem geriet oder sich überstürzte, hätte man meinen können, dass sie sich aus Nervosität und Überdruss selbst zerstörte, dass sie zusammen mit der Gewalt über sich selbst die unfehlbare mathematische Wirksamkeit verlor, die ihre Kraft gewesen war. Castels Serum erzielte auf einmal reihenweise Erfolge, die ihm bis dahin versagt gewesen waren. Jede der ärztlichen Maßnahmen, die vorher ergebnislos blieben, schien mit einem Mal sicher zu wirken. Es sah so aus, als sei die Pest ihrerseits abgehetzt und als gebe ihre plötzliche Schwäche den stumpfen Waffen Kraft, die man ihr bis dahin entgegengestreckt hatte. Nur hin und wieder bäumte sich die Krankheit auf und raffte in einer Art blindem Aufflackern drei oder vier Kranke hinweg, deren Genesung man erhoffte. Sie waren die Pechvögel der Pest, jene, die sie mitten in der schönsten Hoffnung tötete. Einer dieser Fälle war Richter Othon, der aus dem Quarantänelager verlegt werden musste, und Tarrou sagte wirklich von ihm, er habe kein Glück gehabt, ohne dass man jedoch wusste, ob er an das Leben oder an den Tod des Richters dachte.
    Aber insgesamt wich die Infektion auf der ganzen Linie zurück, und die amtlichen Mitteilungen der Präfektur, die zuerst eine schüchterne geheime Hoffnung hatten keimen lassen, bestärkten schließlich die öffentliche Meinung in der

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