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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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in der Nähe von Cottards Haus angekommen. Der war lebhafter geworden und bemühte sich um Optimismus. Er malte die Stadt aus, wie sie wieder zu leben begann und ihre Vergangenheit auslöschte, um bei null wieder anzufangen.
    «Gut», sagte Tarrou. «Vielleicht werden sich ja auch für Sie die Dinge einrenken. In gewisser Weise ist es ein neues Leben, das beginnen wird.»
    Sie standen vor der Tür und drückten sich die Hand.
    «Sie haben recht», sagte Cottard immer aufgeregter, «bei null wieder anfangen, das wäre gut.»
    Aber aus dem Dunkel des Hausflurs waren zwei Männer aufgetaucht. Tarrou hatte kaum Zeit, seinen Begleiter fragen zu hören, was diese Vögel denn wollten. Die Vögel, die aussahen wie Beamte in Sonntagskleidung, fragten Cottard nämlich, ob er Cottard heiße, und der machte mit einem unterdrückten Aufschrei auf dem Absatz kehrt und rannte schon in die Nacht hinein, noch bevor die anderen und auch Tarrou Zeit gehabt hätten, sich zu rühren. Als die Überraschung verflogen war, fragte Tarrou die beiden Männer, was sie wollten. Sie setzten ein reserviertes, höfliches Gesicht auf und sagten, es handle sich um Erkundigungen und gingen gemessen in die Richtung davon, die Cottard eingeschlagen hatte.
    Zu Hause schrieb Tarrou diese Szene nieder und verzeichnete gleich darauf seine Müdigkeit (von der die Schrift zur Genüge zeugte). Er fügte hinzu, er habe noch viel zu tun, aber das sei kein Grund, sich nicht bereitzuhalten, und er fragte sich, ob er tatsächlich bereit sei. Zum Schluss antwortete er, und hier enden Tarrous Aufzeichnungen, dass es immer eine Stunde am Tag oder in der Nacht gebe, in der ein Mensch feige sei, und dass er nur vor dieser Stunde Angst habe.
     
     
    Am übernächsten Tag, einige Tage vor der Öffnung der Tore, kam Doktor Rieux mittags nach Hause und fragte sich, ob er das Telegramm vorfinden würde, auf das er wartete. Obwohl seine Tage noch genauso anstrengend waren wie zur schlimmsten Zeit der Pest, hatte die Erwartung der endgültigen Befreiung bei ihm jede Müdigkeit verscheucht. Er hoffte jetzt und freute sich darüber. Man kann seinen Willen nicht immer anspannen und sich immer hart machen, und es macht einen glücklich, wenn man endlich frohlockend diese zum Kampf gebündelten Kräfte lösen kann. Wenn auch das erwartete Telegramm günstig lautete, würde Rieux neu anfangen können. Und er war der Meinung, dass alle Welt neu anfinge.
    Er kam an der Hausmeisterloge vorbei. Der neue Concierge drückte das Gesicht ans Fenster und lächelte ihm zu. Als Rieux die Treppe hinaufstieg, sah er wieder sein von den Strapazen und Entbehrungen fahl gewordenes Gesicht.
    Ja, er würde neu anfangen, wenn die Zeit der Abstraktion vorüber wäre, und mit ein wenig Glück … Aber in diesem Moment öffnete er seine Tür, und seine Mutter kam ihm entgegen mit der Mitteilung, dass es Monsieur Tarrou nicht gutgehe. Er war am Morgen aufgestanden, hatte aber nicht aus dem Haus gehen können und sich gerade wieder hingelegt. Madame Rieux war besorgt.
    «Vielleicht ist es nichts Schlimmes», sagte ihr Sohn.
    Tarrou lag ganz ausgestreckt da, sein schwerer Kopf grub sich in das Kissen, die kräftige Brust zeichnete sich unter den dicken Decken ab. Er hatte Fieber, der Kopf tat ihm weh. Er sagte zu Rieux, es handle sich zwar um unbestimmte Symptome, die aber genauso gut die der Pest sein könnten.
    «Nein, noch nichts Bestimmtes», sagte Rieux nach der Untersuchung.
    Aber Tarrou wurde von Durst verzehrt. Im Flur sagte der Arzt zu seiner Mutter, es könne der Anfang der Pest sein.
    «Oh», sagte sie, «das ist doch nicht möglich, nicht jetzt!»
    Und gleich darauf:
    «Lass ihn uns hierbehalten, Bernard.»
    Rieux überlegte:
    «Ich habe kein Recht dazu», sagte er. «Aber die Tore werden bald geöffnet. Ich glaube aber, es wäre das erste Recht, das ich mir herausnehmen würde, wenn du nicht da wärst.»
    «Bernard», sagte sie, «behalte uns beide. Du weißt doch, dass ich gerade wieder geimpft worden bin.»
    Der Arzt sagte, das sei auch bei Tarrou der Fall, aber er habe wohl, vielleicht aus Müdigkeit, die letzte Injektion des Serums ausgelassen und einige Vorsichtsmaßnahmen vergessen.
    Rieux ging schon in seine Praxis. Als er in das Schlafzimmer zurückkam, sah Tarrou, dass er die riesigen Ampullen mit dem Serum in der Hand hatte.
    «Aha, das ist es», sagte er.
    «Nein, aber eine Vorsichtsmaßnahme.»
    Statt einer Antwort hielt Tarrou seinen Arm hin und ließ die endlose Injektion über

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