Die Pest (German Edition)
als er es sagte, dass sein Leid ihn nicht überraschend traf. Seit Monaten und seit zwei Tagen war es derselbe Schmerz, der anhielt.
In der Morgendämmerung eines schönen Februartages öffneten sich endlich die Tore der Stadt, begrüßt von der Bevölkerung, den Zeitungen, dem Rundfunk und den Kommuniqués der Präfektur. Dem Erzähler bleibt also nur noch, von den Stunden der Freude zu berichten, die dieser Öffnung der Tore folgten, obwohl er selbst zu denen gehörte, die sich nicht ganz ungezwungen daran beteiligen konnten.
Tagsüber und am Abend wurden große Freudenfeste veranstaltet. Gleichzeitig begannen im Bahnhof Züge zu dampfen, während von fernen Meeren kommende Schiffe Kurs auf unseren Hafen nahmen und auf ihre Weise verdeutlichten, dass dieser Tag für all jene, die unter dem Getrenntsein litten, der Tag der großen Wiedervereinigung war.
Man wird sich an dieser Stelle leicht vorstellen können, was aus dem Gefühl der Trennung wurde, unter dem so viele unserer Mitbürger litten. Die Züge, die während des Tages in unsere Stadt einfuhren, waren nicht weniger überfüllt als die, die abfuhren. Jeder hatte im Lauf der zweiwöchigen Frist seinen Platz für diesen Tag reserviert und bis zum letzten Augenblick gezittert, dass der Beschluss der Präfektur rückgängig gemacht würde. Manche Reisende, die auf die Stadt zufuhren, waren übrigens nicht ganz und gar unbesorgt, denn sie kannten zwar im Allgemeinen das Schicksal derer, die ihnen nahestanden, wussten aber nichts von den anderen und von der Stadt selbst, der sie ein beängstigendes Aussehen unterstellten. Aber das galt nur für jene, die nicht während dieser ganzen Zeit von Leidenschaft verzehrt worden waren.
Die Leidenschaftlichen waren nämlich ihrer fixen Idee ausgeliefert. Für sie hatte sich nur eines verändert: Die Zeit, die sie während der Monate ihres Exils hätten antreiben mögen, damit sie sich beeile, die sie, noch als sie schon in Sichtweite unserer Stadt waren, verbissen zu beschleunigen suchten, diese Zeit wünschten sie im Gegenteil zu verlangsamen und in der Schwebe zu halten, sobald der Zug vor dem Halt zu bremsen anfing. Ihr zugleich unbestimmtes und durchdringendes Bewusstsein all dieser für ihre Liebe verlorenen Lebensmonate ließ sie irgendwie nach einer Art Ausgleich verlangen, bei dem die Zeit der Freude zweimal langsamer vergehen sollte als die des Wartens. Und jene, die in einem Zimmer oder auf dem Bahnsteig auf sie warteten, wie Rambert, dessen seit zwei Wochen informierte Frau alles Nötige getan hatte, um zu kommen, waren genauso ungeduldig und verwirrt. Denn Rambert wartete zitternd darauf, diese Liebe oder Zärtlichkeit, die die Monate der Pest zu einer Abstraktion hatten werden lassen, mit dem Menschen aus Fleisch und Blut zu vergleichen, dem sie gegolten hatten.
Er wäre am liebsten wieder der gewesen, der zu Beginn der Epidemie voller Ungestüm aus der Stadt laufen und zu der hinstürmen wollte, die er liebte. Aber er wusste, dass das nicht mehr möglich war. Er hatte sich verändert, die Pest hatte eine Zerstreutheit in ihm entstehen lassen, die er mit aller Kraft zu verleugnen suchte und die dennoch in ihm anhielt wie eine dumpfe Angst. In gewisser Weise hatte er das Gefühl, dass die Pest zu abrupt aufgehört hatte, er verfügte noch nicht über seine Geistesgegenwart. Das Glück kam in Windeseile, das Geschehen war schneller als das Warten. Rambert wurde klar, dass ihm alles auf einmal wiedergegeben werden würde und dass die Freude ein Brennen ist, das sich nicht auskosten lässt.
Übrigens erging es allen mehr oder weniger bewusst genauso wie ihm, und es muss von allen gesprochen werden. Auf diesem Bahnsteig, wo sie ihr persönliches Leben wieder anfingen, spürten sie noch ihre Gemeinsamkeit, als sie Blicke wechselten und einander zulächelten. Aber sobald sie den Dampf des Zuges sahen, erlosch ihr Gefühl des Exils jäh unter dem Ansturm verworrener, überwältigender Gefühle. Als der Zug hielt, nahmen endlose Trennungen, die für viele auf ebendiesem Bahnsteig begonnen hatten, innerhalb einer Sekunde in dem Moment ein Ende, da sich Arme mit jauchzender Habsucht um Körper schlossen, deren lebendige Gestalt sie vergessen hatten. Rambert hatte kaum Zeit, diese Gestalt anzusehen, die auf ihn zulief, als sie sich schon an seine Brust warf. Und während er sie mit den Armen umfing und einen Kopf an sich drückte, von dem er nur das vertraute Haar sah, ließ er seinen Tränen freien Lauf,
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