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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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einmal knatterte aus den Fenstern der von den Polizisten besetzten Häuser eine Maschinenpistole. Unter den Kugeln wurde der Fensterladen, auf den man wieder zielte, buchstäblich entblättert und ließ eine dunkle Fläche offen, in der Rieux und Grand von ihrem Platz aus nichts erkennen konnten. Als das Feuern aufhörte, ratterte ein Haus weiter eine zweite Maschinenpistole aus einem anderen Winkel los. Die Kugeln schlugen wohl in die Fensterleibung ein, denn eine sprengte einen Backsteinsplitter heraus. In der gleichen Sekunde liefen drei Polizisten über die Straße und verschwanden im Eingang. Fast gleichzeitig rannten drei weitere hinein, und das Feuer der Maschinenpistole hörte auf. Man wartete wieder. Zwei ferne Schüsse hallten im Haus. Dann schwoll Lärm an, und man sah einen kleinen Mann in Hemdsärmeln, der mehr getragen als gezerrt wurde und unablässig schrie, aus dem Haus kommen. Wie durch ein Wunder gingen alle geschlossenen Läden in der Straße auf, und die Fenster füllten sich mit Neugierigen, während eine Menge Leute aus den Häusern kam und sich hinter den Absperrungen drängte. Einen Augenblick lang sah man den kleinen Mann mitten auf der Fahrbahn; seine Füße berührten endlich den Boden, und seine Arme wurden von den Polizisten nach hinten gehalten. Er schrie. Ein Polizist trat zu ihm und versetzte ihm überlegt und gewissermaßen konzentriert mit aller Kraft zwei Faustschläge.
    «Das ist Cottard», stammelte Grand. «Er ist verrückt geworden.»
    Cottard war hingefallen. Man sah noch, wie der Polizist dem auf der Erde liegenden Häufchen mit voller Wucht einen Fußtritt gab. Dann setzte sich eine konfuse Gruppe in Bewegung und ging auf den Arzt und seinen alten Freund zu.
    «Weitergehen!», sagte der Polizist.
    Rieux wandte die Augen ab, als die Gruppe an ihnen vorbeiging.
    Grand und der Arzt entfernten sich gegen Ende der Abenddämmerung. Als hätte das Ereignis das Viertel aus der Benommenheit aufgerüttelt, in dem es schlummerte, füllten sich diese abgelegenen Straßen wieder mit dem dumpfen Lärm einer feiernden Menge. Vor dem Haus verabschiedete sich Grand von dem Arzt. Er wollte arbeiten. Aber schon im Hinaufgehen sagte er ihm, dass er Jeanne geschrieben habe und jetzt froh sei. Und außerdem hatte er seinen Satz wieder angefangen: «Ich habe alle Adjektive weggelassen», sagte er.
    Und mit einem verschmitzten Lächeln zog er seinen Hut zu einem feierlichen Gruß. Aber Rieux dachte an Cottard, und das dumpfe Aufprallen der Fäuste, die dessen Gesicht zerschlugen, verfolgte ihn, während er zum Haus des alten Asthmatikers ging. Vielleicht war es schwerer, an einen schuldigen Menschen zu denken als an einen toten.
    Als Rieux bei seinem alten Kranken ankam, hatte die Nacht schon den ganzen Himmel verschlungen. Von dem Zimmer aus konnte man das ferne Tosen der Freiheit hören, und der Alte war in ausgeglichener Stimmung weiter dabei, seine Erbsen umzufüllen.
    «Sie haben recht, dass sie sich vergnügen», sagte er, «im Leben muss alles vorkommen. Und was macht Ihr Kollege, Herr Doktor?»
    Explosionen waren bis hierher hörbar, aber sie waren friedlich: Kinder ließen ihre Knallfrösche los.
    «Er ist tot», sagte der Arzt, während er die rasselnde Brust abhorchte.
    «Ach!», sagte der Alte etwas bestürzt.
    «An der Pest», fügte Rieux hinzu. «Ja», räumte der Alte nach einer Weile ein, «die Besten gehen dahin. So ist das Leben. Aber er war ein Mensch, der wusste, was er wollte.»
    «Warum sagen Sie das?», sagte der Arzt, der sein Stethoskop einsteckte.
    «Nur so. Er machte kein leeres Gerede. Mir jedenfalls hat er gefallen. Aber so ist das. Die anderen sagen: ‹Das ist die Pest, wir hatten die Pest.› Es fehlt nicht viel, und sie würden einen Orden verlangen. Aber was heißt das schon, die Pest? Es ist das Leben, sonst nichts.»
    «Machen Sie regelmäßig Ihre Räucherungen.»
    «Oh, keine Sorge! Ich habe noch viel Zeit vor mir und werde alle sterben sehen. Ich verstehe nämlich zu leben.»
    In der Ferne antwortete ihm ein Freudengeheul. Der Arzt blieb mitten im Zimmer stehen.
    «Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich auf die Terrasse ginge?»
    «O nein! Sie wollen sie von da oben sehen, nicht? Bitte, bitte. Aber sie sind doch immer gleich.»
    Rieux ging zur Treppe.
    «Sagen Sie, Herr Doktor, stimmt es, dass sie ein Denkmal für die Toten der Pest errichten wollen?»
    «Es stand in der Zeitung. Eine Säule oder eine Gedenktafel.»
    «Ich wusste es ja. Und es werden Reden

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