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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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kamen die jungen Männer nach Hause. Sie redeten nicht viel, außer um zu sagen, dass es noch nicht so weit sei. Nach dem Abendessen spielte Marcel Gitarre, und sie tranken einen Anislikör. Rambert schien nachzudenken.
    Am Mittwoch kam Marcel nach Hause und sagte: «Morgen Abend, um Mitternacht. Halte dich bereit.» Einer der zwei Männer, die mit ihnen den Posten besetzten, war an der Pest erkrankt, und der andere, der sonst das Zimmer mit ihm teilte, war zur Beobachtung eingeliefert. Daher würden Marcel und Louis zwei oder drei Tage allein sein. Im Lauf der Nacht wollten sie die letzten Einzelheiten vorbereiten. Am nächsten Tag würde es möglich sein. Rambert bedankte sich. «Sind Sie froh?», fragte die Alte. Er bejahte, aber er dachte an etwas anderes.
    Am nächsten Tag hing der Himmel tief, und die Hitze war feucht und stickig. Die Nachrichten über die Pest waren schlecht. Doch die alte Spanierin bewahrte ihre Heiterkeit. «Es gibt Sünde auf der Welt», sagte sie. «Kein Wunder also!» Wie Marcel und Louis ging Rambert mit nacktem Oberkörper herum. Aber was er auch tat, der Schweiß lief ihm zwischen den Schultern und die Brust hinunter. Im Halbdunkel des Hauses mit den geschlossenen Läden ging Rambert wortlos im Kreis. Plötzlich, um vier Uhr nachmittags, zog er sich an und verkündete, er gehe aus.
    «Aufgepasst», sagte Marcel, «um Mitternacht geht’s los. Alles ist bereit.»
    Rambert ging zu dem Arzt. Rieux’ Mutter sagte ihm, er könne ihn im Krankenhaus oben in der Stadt finden. Vor dem Wachposten drehte sich immer noch die gleiche Menge um sich selbst. «Weitergehen!», sagte ein Unteroffizier mit Glupschaugen. Die anderen gingen weiter, aber im Kreis. «Es gibt nichts zu warten», sagte der Unteroffizier, dem der Schweiß durch die Jacke drang. Die anderen waren derselben Ansicht, aber sie blieben dennoch, trotz der mörderischen Hitze. Rambert wies seinen Passierschein vor, und der Unteroffizier zeigte ihm Tarrous Büro. Dessen Tür ging auf den Hof. Rambert lief Pater Paneloux über den Weg, der aus dem Büro kam.
    In dem schmutzigen, kleinen weißen Raum, der nach Apotheke und feuchtem Stoff roch, saß Tarrou mit aufgekrempelten Ärmeln hinter einem Schreibtisch aus schwarzem Holz und tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß ab, der in seine Armbeuge rann.
    «Noch da?», sagte er.
    «Ja, ich möchte mit Rieux sprechen.»
    «Er ist im Krankensaal. Aber es wäre besser, wenn es ohne ihn ginge.»
    «Wieso?»
    «Er ist überlastet. Ich nehme ihm ab, was ich kann.»
    Rambert sah Tarrou an. Er war dünner geworden. Die Müdigkeit trübte seine Augen und verwischte seine Züge. Seine starken Schultern waren zusammengekrümmt. Es klopfte, und ein Pfleger mit einer weißen Maske trat ein. Er legte einen Stoß Karteikarten auf Tarrous Schreibtisch und sagte bloß mit einer von dem Stoff gedämpften Stimme: «Sechs», dann ging er wieder. Tarrou sah den Journalisten an und zeigte ihm die Karteikarten, die er wie einen Fächer hielt.
    «Schöne Karteikarten, was? O nein, es sind Tote. Die Toten der Nacht.»
    Seine Stirn hatte sich gefurcht. Er stapelte die Karteikarten wieder.
    «Das Einzige, was uns bleibt, ist Buch zu führen.»
    Tarrou stand auf, wobei er sich auf den Tisch stützte.
    «Gehen Sie bald?»
    «Heute um Mitternacht.»
    Tarrou sagte, das freue ihn und Rambert solle auf sich aufpassen.
    «Meinen Sie das ehrlich?»
    Tarrou zuckte die Achseln:
    «In meinem Alter ist man zwangsläufig ehrlich. Lügen ist zu ermüdend.»
    «Tarrou», sagte der Journalist, «ich möchte den Doktor sehen. Entschuldigen Sie mich.»
    «Ich weiß. Er ist menschlicher als ich. Gehen wir.»
    «Das ist es nicht», sagte Rambert angestrengt. Und er hielt inne.
    Tarrou sah ihn an und lächelte auf einmal.
    Sie gingen einen kleinen Flur entlang, dessen Wände hellgrün gestrichen waren und der von einem Aquariumslicht durchflutet war. Kurz bevor sie an eine verglaste Doppeltür kamen, hinter der man sonderbare Schattenbewegungen sah, ließ Tarrou Rambert in einen sehr kleinen Raum mit lauter Schränken an den Wänden eintreten. Er öffnete einen, nahm aus einem Sterilisator zwei Mullmasken, gab eine Rambert und forderte ihn auf, sie umzubinden. Der Journalist fragte, ob das etwas nütze, und Tarrou verneinte, es erwecke aber bei den anderen Vertrauen.
    Sie öffneten die Glastür. Es war ein riesengroßer Saal mit trotz der Jahreszeit hermetisch geschlossenen Fenstern. Oben an den Wänden surrten Apparate, die die

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