Die Pest (German Edition)
Luft erneuerten, und ihre krummen Propeller wirbelten die sämige, überhitzte Luft über zwei Reihen grauer Betten durcheinander. Von allen Seiten stieg dumpfes oder schrilles Stöhnen, das eine einzige monotone Klage bildete. Weißgekleidete Männer bewegten sich langsam in dem unerbittlichen Licht, das durch die hohen und breiten vergitterten Fenster strömte. Rambert fühlte sich in der schrecklichen Hitze dieses Saales unwohl und hatte Mühe, Rieux zu erkennen, der sich über eine stöhnende Gestalt beugte. Der Arzt schnitt einem Kranken, den zwei Krankenschwestern zu beiden Seiten des Bettes festhielten, die Leisten auf. Als er sich aufrichtete, ließ er seine Instrumente auf das Tablett fallen, das ein Gehilfe ihm hinhielt, blieb einen Moment reglos stehen und sah den Mann an, der verbunden wurde.
«Was gibt es Neues?», sagte er zu Tarrou, der näher trat.
«Paneloux ist bereit, Rambert in der Quarantänestation zu ersetzen. Er hat schon viel getan. Jetzt muss noch der dritte Fahndungstrupp ohne Rambert neu zusammengestellt werden.»
Rieux nickte zustimmend.
«Castel hat seine ersten Vorbereitungen beendet. Er schlägt einen Versuch vor.»
«Ah, das ist gut!», sagte Rieux.
«Und dann ist Rambert hier.»
Rieux drehte sich um. Er kniff die Augen über der Maske zusammen, als er den Journalisten erblickte.
«Was machen Sie denn hier?», sagte er. «Sie sollten woanders sein.»
Tarrou sagte, es gehe heute um Mitternacht los, und Rambert fügte hinzu: «Im Prinzip.»
Jedes Mal, wenn einer von ihnen sprach, bauschte sich die Mullmaske und wurde an der Stelle, wo der Mund war, feucht. Das gab dem Gespräch etwas Unwirkliches, wie ein Dialog zwischen Statuen.
«Ich möchte Sie sprechen», sagte Rambert.
«Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir zusammen weg. Warten Sie in Tarrous Büro auf mich.»
Wenig später setzten sich Rambert und Rieux hinten in das Auto des Arztes. Tarrou fuhr.
«Kein Benzin mehr», sagte er beim Losfahren. «Morgen werden wir zu Fuß gehen.»
«Herr Doktor», sagte Rambert, «ich gehe nicht weg, ich will bei Ihnen bleiben.»
Tarrou regte sich nicht. Er fuhr einfach weiter. Rieux schien unfähig, aus seiner Müdigkeit herauszufinden.
«Und was ist mit ihr?», sagte er dumpf.
Rambert sagte, er habe noch einmal darüber nachgedacht und glaube weiterhin, was er geglaubt habe, aber wenn er wegginge, würde er sich schämen. Und das würde ihn in seiner Liebe zu der Zurückgelassenen stören. Aber Rieux richtete sich auf und sagte mit fester Stimme, das sei Blödsinn, man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe.
«Ja», sagte Rambert, «aber man kann sich schämen, wenn man ganz allein glücklich ist.»
Tarrou, der bisher geschwiegen hatte, wies, ohne den Kopf zu wenden, darauf hin, dass Rambert nie wieder Zeit für das Glück haben werde, wenn er das Unglück der Menschen teilen wolle. Er müsse wählen.
«Darum geht es nicht», sagte Rambert. «Ich habe immer gedacht, ich sei fremd in dieser Stadt und hätte nichts mit Ihnen zu tun. Aber jetzt, wo ich gesehen habe, was ich gesehen habe, weiß ich, dass ich hierher gehöre, ob ich will oder nicht. Diese Geschichte geht uns alle an.»
Niemand antwortete, und Rambert schien ungeduldig zu werden.
«Das wissen Sie doch ganz genau! Was würden Sie sonst in diesem Krankenhaus machen? Haben Sie etwa gewählt und auf das Glück verzichtet?»
Noch immer antworteten weder Tarrou noch Rieux. Das Schweigen dauerte so lange, bis sie sich dem Haus des Arztes näherten. Und Rambert stellte seine letzte Frage noch einmal, mit noch mehr Nachdruck. Und nur Rieux wandte sich ihm zu. Er richtete sich mühsam auf:
«Entschuldigen Sie, Rambert», sagte er, «aber ich weiß es nicht. Bleiben Sie bei uns, wenn Sie es unbedingt wollen.»
Ein Schlenker des Autos brachte ihn zum Schweigen. Vor sich hin blickend fuhr er dann fort:
«Nichts auf der Welt ist es wert, sich von dem abzuwenden, was man liebt. Und doch wende auch ich mich ab, ohne dass ich weiß, warum.»
Er ließ sich in sein Polster zurücksinken.
«Es ist ganz einfach eine Tatsache», sagte er müde. «Nehmen wir sie zur Kenntnis und ziehen wir die Konsequenzen daraus.»
«Welche Konsequenzen?», fragte Rambert.
«Ach, man kann nicht gleichzeitig heilen und wissen», sagte Rieux. «Also lassen Sie uns so schnell wie möglich heilen. Das ist das Dringendste.»
Um Mitternacht, während Tarrou und Rieux den Plan des Viertels aufzeichneten, den Rambert kontrollieren
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