Die Pest zu London
Minoritenpfarre und in den Vierteln der Aldgate Pfarre, die um Butcher Row herum und mit ihren Hintergassen in meiner Richtung liegen, unter zwanzig Häusern nicht eines gab, das noch von der Seuche frei war. Hier, sage ich, herrschte der Tod in jedem Winkel. Im Whitechapel Sprengel war es ähnlich 131
bestellt, und wenn auch lange nicht so schlimm wie in der Pfarre, wo ich wohnte, so begruben sie doch nahezu 600 in der Woche, gemäß dem Register, und nach meiner Schätzung doppelt so viele. Ganze Familien, ja ganze Straßenzüge von Familien wurden zusammen hinweggefegt; soweit, daß es für Nachbarn nichts Seltenes mehr war, dem Klingler zuzurufen, er solle zu dem und dem Hause gehen und die Leute herausholen, denn sie seien alle miteinander tot.
Und in der Tat, das Werk der Leichenüberführung auf Wagen war nunmehr so widerlich und gefährlich geworden, daß man Beschwerden hören konnte, die Totenträger verabsäumten es, Häuser, in denen alle Einwohner tot waren, von Leichen auszuräumen, statt dessen seien manchmal die Leichen mehrere Tage unbeerdigt liegen geblieben, bis benachbarte Familien vom Gestank belästigt und in der Folge infiziert worden seien; und diese Nachlässigkeit der Dienstmänner war so, daß die Kirchvorsteher und Konstabler aufgefordert wurden, darauf zu achten, und sogar die Friedensrichter in den kleinen Vororten waren verpflichtet, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zur schnelleren Erledigung anzuhalten; zahllose Totenträger starben nämlich an der Seuche, von den Leichen, denen sie so nahezukommen genötigt waren, infiziert. Und wäre nicht die Zahl der Armen, die Beschäftigung und Brot suchten (wie ich vorher schon sagte), so groß gewesen, daß die Not sie trieb, alles und jedes zu unternehmen und zu wagen, so hätte man niemals jemand für diese Arbeit gefunden. Und dann wären die Körper der Toten unbeerdigt liegengeblieben und wären auf schreckliche Weise vergangen und verwest.
Aber man kann es den Behörden nicht hoch genug anrech-nen, daß sie für einen so geordneten Ablauf der Totenbestat-tung sorgten, daß, sobald einer von denen, die zum Wegschaffen und Begraben der Toten bestellt waren, krank wurde oder starb, wie es häufig der Fall war, sie sofort einen anderen an seine Stelle treten ließen, was freilich aufgrund der großen Zahl 132
von Arbeitslosen, wie oben gesagt, nicht schwer war. Dies brachte es mit sich, daß ungeachtet der ungeheuren Zahl derer, die beinahe zur gleichen Zeit starben und krank lagen, dennoch die Toten jede Nacht weggeräumt und fortgeschafft wurden, so daß man von London niemals sagen konnte, die Lebenden seien nicht mehr imstande gewesen, die Toten zu begraben.
Je größer die Trübsal im Laufe der Schreckenszeit wurde, um so mehr nahm auch die Verstörtheit der Menschen zu, und tausend befremdende Dinge vollführten sie, die einen halbtoll vor Angst und die anderen in der Schmerzenspein ihrer Krankheit, und dies nahm das Mitgefühl sehr in Anspruch. Einige zogen brüllend und heulend und händeringend durch die Straßen; einige pflegten betend und mit zum Himmel erhobenen Händen umherzugehen, Gott um Erbarmen anrufend. Ich kann freilich nicht sagen, ob das nicht schon im Wahn geschah, aber mag es auch Wahn gewesen sein, es war jedenfalls das Anzeichen einer ernsteren Gesinnung, die diese gehabt haben mußten, als sie noch bei Sinnen waren, und es war, so wie es war, immer noch besser als das gräßliche Gebrüll und Geheul, das jeden Tag, und besonders am Abend, auf manchen Straßen zu hören war. Ich nehme an, von Solomon Eagle, dem berühmten Schwarmgeist, hat alle Welt gehört. Er, obwohl nirgends krank als im Kopf, zog umher und wies drohend auf das Strafgericht hin, das über der Stadt sei, und das tat er auf schauerliche Art, manchmal ganz nackt und mit einer Pfanne voll glühender Kohlen auf dem Kopf. Was er sagte oder wofür er sich ausgab, konnte ich allerdings nicht erfahren.
Ich möchte auch nicht darüber urteilen, ob jener Geistliche noch ganz bei Sinnen war oder nicht, oder ob er es aus reinem Eifer für das arme Volk tat, wenn er jeden Tag durch die Straßen Whitechapels ging und mit erhobenen Händen unaufhörlich die Worte aus der Liturgie der Kirche wiederholte:
»Verschone uns, gütiger Gott; verschone Dein Volk, das Du mit Deinem kostbarsten Blut erlöst hast.« Ich sage, ich kann 133
nichts Positives über diese Dinge sagen, weil dies für mich nur Szenen eines garstigen Schauspiels waren, das sich mir
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