Die Pest zu London
darbot, wenn ich durch mein Kammerfenster schaute (denn die großen Fenster öffnete ich selten), während ich die Zeit des heftigsten Wütens der Pest in freiwilligem Hausarrest verbrachte; das war, wie ich schon sagte, als viele schon zu der Meinung gelangt waren und sie auch aussprachen, daß keiner davonkommen werde; und eigentlich war ich auch schon so weit und verblieb deshalb zwei Wochen lang innerhalb des Hauses und rührte mich nicht hinaus. Aber ich konnte es nicht durchhalten.
Außerdem gab es Leute, die, ungeachtet der Gefahr, nicht versäumten, dem öffentlichen Gottesdienst beizuwohnen, nicht einmal zu der gefährlichsten Zeit; und obwohl es zutrifft, daß sehr viele Geistliche tatsächlich ihre Kirchen abschlossen und, um der Sicherheit ihres Lebens willen, wie es andere auch taten, aufs Land flohen, so gilt das doch nicht für alle. Einige ließen sich nicht abschrecken, zu amtieren und weiterhin ihre Gemeinde bei anhaltendem Gebet und gelegentlichen Predigten und kurzen Ermahnungen zur Buße und Umkehr zu versam-meln, und das solange wie nur einer kam, der ihnen zuhörte.
Und die Reformierten taten das gleiche und benutzten sogar die regulären Kirchen, wo die Pfarrgeistlichkeit entweder tot oder geflohen war; in einer Zeit wie dieser konnte man es eben nicht so genau nehmen.
Es war in der Tat herzzerreißend anzuhören, wenn die armen sterbenden Menschenkinder jammernd und wehklagend nach Geistlichen riefen, die ihnen Trost spenden, mit ihnen beten und ihnen geistlichen Rat erteilen sollten; oder wenn sie zu Gott um Vergebung und Erbarmen flehten und laut ihre ver-gangenen Sünden bekannten. Es würde das verstockteste Herz bluten machen, die vielen Warnungen zu hören, die die Bußfertigen im Sterben an die anderen richteten, die Reue nicht zu verzögern und sie nicht auf den Tag der Bedrängnis zu verschieben; denn wenn die Not erst hereingebrochen sei, so wie 134
jetzt, sei es für die Buße zu spät, dann sei nicht der rechte Augenblick, zu Gott zu rufen. Ich wünschte, ich könnte den lebendigen Ton jener Seufzer und Ausrufe wiederholen, die ich von solchen armen Menschenkindern hörte, wenn sie in ihrem Todesringen und ihrer Drangsal zum Letzten kamen, und ich könnte sie den, der dies liest, mithören lassen, so wie ich sie jetzt noch zu hören vermeine, denn der Ton scheint immer noch in meinen Ohren zu klingen.
Wenn ich hierüber doch nur in so bewegenden Worten zu sprechen wüßte, daß es den Leser bis in die tiefste Seele erschüttert, dann wäre es eine Freude für mich, diese Dinge aufgezeichnet zu haben, wie kurz und unvollständig auch immer.
Es gefiel Gott, mich immer noch verschont zu lassen, und ich war frisch und kerngesund, nur sehr ungeduldig, mich länger im Hause luftdicht einzukapseln, wie ich es vierzehn Tage lang oder so nun schon tat, und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, sondern ich mußte gehen und einen Brief an meinen Bruder zum Posthaus bringen. Und da bemerkte ich allerdings, was für ein tiefes Schweigen in den Straßen herrschte. Als ich zum Posthaus kam und gerade hineingehen wollte, um meinen Brief aufzugeben, sah ich in einer Ecke des Hofes einen Mann stehen und mit einem anderen sprechen, der zu einem Fenster herausschaute, und ein dritter hatte eben eine Tür der Amts-räume geöffnet.
Mitten auf dem Hof lag eine kleine Lederbörse mit zwei Schlüsseln, die daran befestigt waren; es war Geld darin, aber niemand wollte sie anrühren. Ich fragte, wie lange sie dort schon liege; der Mann in dem Fenster sagte, sie liege dort schon beinahe eine Stunde, aber man habe sie nicht angerührt, denn man wisse ja nicht, ob nicht die Person, die sie verloren habe, zurückkommen und nach ihr suchen möchte. Ich war nicht so in Geldverlegenheit, und die Summe konnte auch nicht so groß sein, daß ich Lust verspürt hätte, mich daranzumachen 135
und das Geld unter der Gefahr, in die ich dabei vielleicht lief, zu nehmen; so war ich eigentlich schon auf dem Weg nach Haus, als der Mann, der aus der Tür herausgetreten war, sagte, er wolle sie aufheben, aber freilich, wenn der rechtmäßige Eigentümer komme, so solle er sie gewiß zurückerhalten. Er ging also hinein und holte einen Eimer Wasser und setzte ihn dicht neben der Geldbörse nieder, dann ging er nochmals und holte etwas Schießpulver und streute reichlich davon auf die Börse, und dann machte er eine Zündlinie von diesem Pulver aus, das er lose auf die Börse gehäufelt hatte. Die Zündlinie
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