Die Pest Zu London
Zeit wohl glauben darf, entweder gestorben oder ausgezogen, und so hatte der Hausherr den Schlüssel in Verwahrung. Als er sich nun diesen Zugang zu der Werkstatt verschafft hatte, was er nicht hätte tun können, wenn der Mann vor der Tür gestanden hätte, da der Lärm, den er nicht umhinkonnte zu verursachen, so groß war, daß der Wächter aufmerksam geworden wäre – ich sage, als er sich diesen Zugang zu der Werkstatt verschafft hatte, verhielt er sich still, bis der Wachmann mit der Krankenschwester zurückkehrte, und den ganzen nächsten Tag auch noch. Aber in der folgenden Nacht, nachdem es ihm gelungen war, den Wachmann wieder einen kleinen Weg machen zu lassen, etwa, so möchte ich annehmen, zu einem Apotheker, um ein Pflaster für das Mädchen zu holen, worauf er eine Zeitlang hätte warten müssen, oder sonst einen ähnlichen Gang, bei dem man seines Fortbleibens für eine Weile sicher war – da beförderte inzwischen der Hausherr sich und die Seinen alle zum Hause hinaus und überließ es der Krankenschwester und dem Wachmann, das bedauernswerte Mädchen zu bestatten – das heißt, sie in den Totenkarren zu werfen – und sich des Hauses anzunehmen.
Solcher Geschichten, voller Ereignisse wie diese, könnte ich viele erzählen, die ich in dem langen Lauf dieses traurigen Jahres erlebte – das heißt, hörte – und die mit großer Sicherheit wahr sind oder der Wahrheit sehr nahe kommen; das heißt wahr im Wesentlichen, denn kein Mensch konnte zu einer solchen Zeit sich aller Einzelheiten vergewissern. Gleichermaßen wurden vielerorts Gewalttätigkeiten, wie ich sie anführte, gegen die Wachleute begangen; und ich glaube, daß vom Anfang der Heimsuchung bis zu ihrem Ende nicht weniger als achtzehn oder zwanzig von ihnen getötet wurden oder so schwer verwundet, daß man sie für tot aufhob, und das soll durch die Leute in den befallenen Häusern geschehen sein, wenn sie eingesperrt waren und versuchten hinauszukommen, aber auf Widerstand stießen.
Auch hätte man in der Tat kaum etwas anderes erwarten können, denn so viele Häuser als da gesperrt waren, so viele Gefängnisse gab es in der Stadt; und zumal die so eingeschlossenen und gefangengehaltenen Menschen keines Verbrechens schuldig, sondern nur eingeschlossen waren, weil sie sich im Elend befanden, war es wirklich um so unerträglicher für sie.
Das machte auch etwas aus, daß jedes Gefängnis, wie wir es nennen können, nur einen Gefangenenwärter besaß, und da er ein ganzes Haus zu bewachen hatte, viele Häuser aber so gelegen waren, daß sie verschiedene Ausgänge hatten, einige mehr, andere weniger, und manchmal auf verschiedenen Straßen, war es für einen Mann allein unmöglich, alle Zugänge so zu bewachen, daß er Menschen an der Flucht hätte hindern können, die durch das Schrecknis ihrer Lage, den Zorn über ihre Behandlung oder das Wüten der Pest selbst zur Verzweiflung getrieben wurden; so kam es vor, daß sie auf der einen Seite des Hauses mit dem Wachmann ein Gespräch führten, während auf der anderen Seite die Familie ihre Flucht bewerkstelligte.
Zum Beispiel gab es an der Coleman Straße ein Gewirr von Hinterhöfen und Seitengäßchen, wie man jetzt noch sehen kann. Ein Haus am sogenannten White’s Winkel war gesperrt worden, und dieses Haus hatte ein rückwärtiges Fenster, keine Tür, auf einen Hof, von dem ein Durchgang zur Bell Gasse führte. Ein Wachmann war vom Konstabler vor die Tür dieses Hauses postiert worden, und dort stand er nun, oder sein Wachkamerad, Tag und Nacht, während die Familie schon längst, alle Mann, bei Dunkelheit über den Hof entkommen war, die armen Kerle fast zwei Wochen lang warten und wachen lassend.
Nicht weit entfernt von der gleichen Stelle jagten sie einen Wachmann mit Schießpulver in die Luft und verbrannten den armen Kerl fürchterlich; und während er gräßlich schrie und sich niemand herauswagte, ihm zu Hilfe zu kommen, kletterten alle Hausbewohner, soweit sie noch gut auf den Beinen waren, zum Fenster im ersten Stock hinaus, nur zwei, die krank zurückbleiben mußten, riefen um Hilfe.
Man sorgte dafür, daß sie Pflegerinnen bekamen, die sie versorgten, aber die geflohenen Personen wurden niemals gefunden, bis sie nach dem Abklingen der Seuche wieder auftauchten; aber da ihnen nichts zu beweisen war, konnte man ihnen auch nichts anhaben.
Es muß auch berücksichtigt werden, daß dies ja Gefängnisse ohne Gitter und Riegel waren, womit sonst jedes gewöhnliche Gefängnis
Weitere Kostenlose Bücher