Die Pestärztin
gelang, die Rüstung des Kontrahenten hier zu durchbohren, war der Gegner außer Gefecht gesetzt. Im Turnier stritt man allerdings mit abgepolsterten Lanzen. Ein Treffer konnte dem Ritter allenfalls Prellungen zufügen.
Auf diese kleine Chance, den Gegner zu schwächen, setzte Adrian erst gar nicht. Beim dritten Tjost unterlief er die Lanze Ignaurus' und versuchte, den Ritter aus dem Sattel zu heben, indem er den Stoß zwischen Pferd und Oberschenkel platzierte. Das wäre beinahe gelungen, aber Ignaurus war schwer und Adrian durch die vorhergehenden Kämpfe geschwächt. So kam der Ritter zwar aus dem Gleichgewicht, blieb aber oben.
Der Herzog auf der Tribüne gab ein Zeichen. Der Tjost war unentschieden ausgegangen. Die Ritter wurden aufgefordert, abzusteigen und den Kampf mit Schwertern fortzusetzen.
Lucia konnte sich nicht recht auf den Schlagabtausch im Staub der Kampfbahn konzentrieren. Sie spürte jetzt ziehende Schmerzen im Rücken, ihr Mund war trocken, und ihre Stirn glühte.
»Warte noch«, flüsterte sie dem Kind zu. »Eine, zwei Stunden ...«
Ignaurus vom Hohenfeldes Holzschwert hämmerte erbarmungslos auf Adrians Schild ein. Der junge Ritter schien ganz damit beschäftigt, sich zu verteidigen, und kam kaum dazu, selbst einen Schlag anzubringen. Doch wenn sein Schwert aufblitzte, kam der Stoß stets unerwartet für Ignaurus. Adrians Kampftechnik war sehr viel eleganter als die seines Gegners. Mit so manchem seiner Züge wäre er in den ersten Kämpfen sicher Sieger geblieben, aber jetzt fehlte es seinen Vorstößen an Kraft. Von Rennes war überaus geschickt, aber völlig erschöpft.
»Er ist fertig«, fasste Daphnes neuer Freund, der neunmalkluge Knappe, die Situation kurz zusammen. »Herr Ignaurus wird siegen.«
Aber dann war das Glück auf Seiten des jungen französischen Ritters. Vor Herrn Ignaurus' enormer Körperkraft kapitulierte nicht sein Gegner, sondern erst mal das Holzschwert, mit dem er hier zu kämpfen gezwungen war. Nach einem letzten, gewaltigen Schlag auf den Schild des Gegners hielt Ignaurus nur noch das Heft in der Hand ...
Adrian von Rennes nutzte seine Chance sofort. Er stieß mit dem zur Abwehr erhobenen Schild nach seinem Gegner und brachte den verdutzten Ritter damit aus dem Gleichgewicht. Ignaurus stolperte, und ein Schwertstreich Adrians warf ihn zu Boden. Von Rennes setzte ihm die Schwertspitze an die Kehle und suchte den Blick des nächsten Herolds.
»Herr Adrian von Rennes wird zum Sieger dieses Treffens erklärt!«, verkündete der Herold.
Lucia meinte, den Ritter vor Erleichterung aufatmen zu hören. Adrian von Rennes löste seinen Helm. Dann reichte er dem Gegner die Hand und half ihm auf. Auch Ignaurus schob daraufhin sein Visier hoch. Lucia befürchtete, er werde zornig sein und den Ausgang des Turniers anfechten, stattdessen lachte er. Der stämmige Hohenfelder war deutlich ein guter Verlierer. Die beiden Männer traten einträchtig vor den Ehrenbaldachin, wo Elisabeth von Bayern bereits wartete. Sie strahlte, während der Herzog die Ritter mit eher säuerlichem Gesicht begrüßte. Der Siegespreis war ein mit Edelsteinen geschmückter Pokal, und die Herrin machte Anstalten, ihn ihrem Favoriten zu überreichen.
Lucia konnte kaum erwarten, dass die letzte Siegerehrung des Tages endlich ein Ende fand. Ihr war übel und schwindelig, und sie meinte fast, Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln zu spüren ...
Dennoch konnte sie nicht umhin, sich mit der jungen Herzogin auf der Tribüne zu freuen. Elisabeth machte keinen Hehl aus ihren Gefühlen für Adrian von Rennes.
»Sie sollte es nicht übertreiben ...« Abraham von Kahlbachs kühle, jetzt fast warnende Stimme. »Ich würde meiner Gattin nicht gestatten ...«
Aber natürlich konnte Elisabeth ihn nicht hören. Trunken vor Glück beugte sie sich eben über die Brüstung, um ihrem Ritter den Ehrenpreis zukommen zu lassen: einen Kuss seiner Dame. Und sie beschränkte sich nicht darauf, ihn auf die Stirn zu küssen. Während das Volk lachte und applaudierte, fanden ihre Lippen die seinen.
Lucia meinte, den Kuss zu spüren ... dieses glückliche Paar weckte Erinnerungen an ihre eigenen Stunden mit Clemens. Hatte nicht auch sie erhöht auf den Stufen ihres Hauses gestanden, als sie ihn zum letzten Mal küsste?
Aber dann kam Bewegung in die Gruppe der Hohen Herrschaften auf der Empore. Herzog Stephan erhob sich und schleuderte den Herolden und Rittern vor der Tribüne ein paar Worte entgegen.
Lucia und Abraham
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