Die Pestärztin
gleich nach dem Schlussgebet in der Burgkapelle in Elisabeths Kemenate. Dabei würdigte sie die Herzogin keines Blickes, doch an Lucia saugten sich ihre Augen geradezu fest. Lucia betrachtete sie ebenfalls. Margarethe trug ein altmodisches Gebende, unter dem sie blondes, noch kaum ergrautes Haar verbarg. Darüber lag ein goldener Schepel, der auf ihren hohen Rang hinwies. Ihr Gesicht war ein wenig fleischig, aber ebenmäßig, ihre Augen wasserblau und argwöhnisch.
»Tatsächlich! Es ist unglaublich! Obwohl die Anna schon immer ein gutes Gedächtnis für Gesichter hatte. Aber dies ... meiner Seel, im Halbdunkel des Kellers hätte selbst ich dich für einen Geist halten können! Das kann kein Zufall sein. Also heraus damit, Kleine! Wo kommst du her?«
Lucia erzählte ein weiteres Mal ihre Geschichte. Bislang hatte sie den Makel ihrer Geburt dabei allerdings nie erwähnt, sondern die Leute in dem Glauben gelassen, sie sei die Tochter einer Hausangestellten der Speyers gewesen. Damit ließ die Herzoginmutter es allerdings nicht bewenden.
»Ich will nicht wissen, wer dich aufgezogen hat. Ich will wissen, wer dich gezeugt hat!«, sagte sie geradeheraus. »Du bist doch irgendein Bastard derer von Oettingen. Und sag die Wahrheit! Du kannst nicht im Rheinland geboren sein, dahin hat's weder den alten noch den jungen Fürsten je verschlagen!«
Lucia schluckte. »Ich schwöre Euch, ich wurde in Mainz geboren. Was natürlich nicht heißt, dass ich auch dort gezeugt wurde. Man sagte der Hebamme, meine Mutter sei noch nicht lange in der Stadt gewesen.«
»Wieso der Hebamme? Warst du nicht mit deiner Mutter zusammen? Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Mädchen! Ich hab nicht ewig Zeit!« Die Herzoginmutter wirkte jetzt schon rastlos, obwohl Lucias Angelegenheit doch offensichtlich Priorität hatte.
Lucia holte tief Luft. Bislang hatte sie niemandem außer Clemens von Treist die Geschichte ihrer Geburt erzählt.
»Meine Mutter beharrte darauf, mit meinem Vater verheiratet gewesen zu sein«, betonte sie schließlich. »Sie hat sich nur aus Not dem Hurenwirt verkauft, nachdem er tot war.«
»Und hatte er - oder wenigstens sie - einen Namen?«, fragte Margarethe spöttisch. »Wenn sie schon eine derart christliche Ehe geführt haben?«
Lucia biss sich auf die Lippen. Sie dachte selten an ihre wirklichen Eltern, aber die Herzogin sollte doch nicht so abfällig von ihnen sprechen.
»Der Name meines Vater fiel nicht, Herrin. Meine Mutter nannte sich Beatrix.«
Die Wirkung, die sie mit der Nennung dieses Namens erzielte, war unvergesslich. Die Herzoginmutter sprang vor Erregung auf und fasste sich an die Kehle. Anna, die an der Tür gewartet hatte, um die Damen bei Bedarf mit Wein zu versorgen, griff sich ans Herz.
»Meiner Treu«, murmelte sie. »Meiner Treu ...«
Selbst auf Elisabeths Gesicht zeichnete sich Überraschung ab, auch wenn die Eröffnung sie nicht derart berührte wie die älteren Frauen.
»Nicht ihr Geist, Anna, ihre Tochter!«, bemerkte die Herzogin schließlich. »Lucia von Oettingen. Ich werde den Fürsten informieren müssen.«
»Nicht >von Oettingen<«, warf Elisabeth ein. »Ihr hört doch, ihre Mutter bestand darauf, verheiratet zu sein. Wie hieß denn ...«
»Siegmund von Bruckberg. Eine unbedeutende Familie.« Die Herzoginmutter machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sitzen irgendwo im Schwäbischen.«
»Aber dennoch ihr legitimer Vater!«, beharrte Elisabeth. »Ihr Name ist Lucia von Bruckberg ...«
Mein Name ist Lucia von Treist!, wollte sie den Frauen entgegenschleudern, brachte aber nur ein Flüstern hervor. Sie fühlte sich schwindelig. Bislang hatte sie Clemens' Namen nie benutzt. Bei den Juden war sie schließlich Lea gewesen, und der Herzogin hatte sie nur kurz von ihrer Heirat mit einem Pestarzt erzählt, ohne Clemens' adelige Abstammung zu erwähnen.
An ihrer Stellungnahme zeigte sich allerdings niemand interessiert. Frau Margarethe hörte einfach über sie hinweg.
»Dann eben von Bruckberg, in Gottes Namen! Aber das ändert nichts daran, dass sie aus dem Hause Oettingen stammt. Der Fürst muss benachrichtigt werden. Sie ist im heiratsfähigen Alter, er wird Vereinbarungen treffen wollen. Aber vorerst bleibst du hier, Mädchen. Du wirst dich zu meinen Hofdamen gesellen. Wir werden sehen, dass wir dir etwas Schliff geben. Hast du bei deinen Zieheltern Lesen und Schreiben gelernt?« Die Herzogin musterte Lucia wie eine Zuchtstute.
»Ja. Ich kann auch Latein und Griechisch,
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