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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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angedeutet.
    Lucia lächelte und hoffte, jetzt keinen Fehler zu machen. Doch alles trieb sie dazu, ihre eingeschüchterte, geschlagene Freundin in den Arm zu nehmen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Elisabeth auf beide Wangen.
    »Elisabeth«, sagte sie. »Ich will dir gern eine Freundin sein. Dir und deinem Ritter.«
 
    Anna führte Lucia in die geräumige Kemenate, in der die Herzoginmutter ihre Zöglinge unterbrachte. Es war üblich, adelige Mädchen an irgendeinem befreundeten Hof erziehen zu lassen, teilweise unternahmen sie schon als Kinder weite Reisen. Vormals verfeindete Fürstenhöfe tauschten im Rahmen von Friedensverhandlungen auch Geiseln aus. Wer ein Kind am Hof des ehemaligen Feindes hatte, griff nicht so leicht erneut an.
    Am Hof der Herzöge von Bayern fanden sich zurzeit allerdings nur Töchter von alten Freunden. Umso verwunderlicher fand es Lucia, dass die Kemenaten zwar standesgemäß ausgestattet waren, aber sonst eher noblen Gefängnissen glichen. Vor den Fenstern befanden sich Gitter - fein ziseliert zwar, aber Gitter. Und die nächste Wachstation am Wehrgang war so nahe, dass sich bestimmt kein Mädchen hinaustraute, um einen vor ihren Wohnungen singenden Troubadour anzuschmachten. Lucia sollte später erfahren, dass die Mädchen ihre Kemenaten scherzhaft das »Serail von Landshut« nannten.
    »Die Herzoginmutter hat es halt schlecht verwunden, dass die kleine Oettingen ihr weggelaufen ist«, erklärte Anna, die Lucias erstaunte Blicke bemerkte. »Deine Mutter ... ich muss mich erst daran gewöhnen!«
    »Und ich erst!«, brach es aus Lucia hervor. »Ich habe bislang auch erst die Hälfte verstanden. Was ist da geschehen, Anna? Mein Vater hat meine Mutter entführt? War er ein fahrender Ritter?«
    Anna lachte. »Viel schlimmer, Kind. Er war Ordensmann.«
    Die Kammerzofe suchte in einer der Truhen, die sich zahlreich in den Kemenaten der Mädchen fanden.
    »Hier, das wird dir passen!« Sie zog ein feines, seidenes Hemd, ein federleichtes, hellblaues Unterkleid und eine hoch geschlitzte Surkotte aus zartem, dunkelblauem Leinen hervor. »Du bist wirklich sehr hübsch!«
    »Er war ein Priester?«, fragte Lucia entsetzt. Sie interessierte sich vorerst nicht für die neueste Mode.
    »Noch nicht ganz, Gott sei's gedankt! Sonst wäre das obendrein eine Todsünde gewesen! Aber er hatte die Gelübde noch nicht abgelegt. Er gehörte zu den Dominikanern, man hatte ihn schon als Kind dem Kloster anvertraut. Und er war ein kluger Kerl; er studierte die alten Sprachen und verstand sich fabelhaft auf das Kopieren von Schriften. Aber es war zweifellos nicht die beste Idee, ausgerechnet einen so jungen Burschen als Lehrer für die kleine Beatrix auszuwählen. Die Herzogin wollte sparen und ließ ihre Söhne von ihm unterrichten - und bei der Gelegenheit sollte er denn auch noch den Mädchen die Grundzüge des Lesens und Schreibens beibringen. Die kleine Oettingen konnte das schon. Also sollte sie Latein lernen. Hinterher stritt man sich dann, wer wen verführt hat.«
    Ein Mann, der beinahe Priester geworden wäre! Kein Wunder, dass er nicht fähig gewesen war, sich in der rauen Welt der Diebe und Halsabschneider zu behaupten, in der Beatrix und Siegmund schließlich gelandet waren! Lucia schwirrte der Kopf.
    »Er hat sie auch keineswegs nachts aus der Kemenate geholt«, fuhr Anna fort. »Insofern kein Grund, anschließend die Fenster zu vergittern, aber die Herzogin war dann übervorsichtig. Tatsächlich ist sie einfach herausspaziert, hat sich ihr Pferdchen satteln lassen, und weg waren sie. Man hat sie erst Stunden später vermisst - und nie gefunden, obwohl ihr Vater und die Herzogin nach ihnen haben suchen lassen. Der Oettinger hatte wohl schon einen passenden Gatten für sie im Auge. Doch als sie ein paar Tage fort waren, verlor er das Interesse. Man konnte sich ja denken, dass die beiden nicht gerade mit einem Schwert zwischen sich genächtigt hatten. Die Herzogin aber gab nicht so schnell auf. Ein entlaufener Zögling ging gegen ihre Ehre!«
    Lucia konnte sich lebhaft vorstellen, dass Margarethe jeden mit ihrem Hass verfolgte, der ihr auch nur widersprach. Und Beatrix hatte sich ihrem Einfluss gänzlich entzogen! Lucia hoffte nur, demnächst nicht für die Sünden ihrer Mutter büßen zu müssen!
 
    Die anderen Zöglinge der Herzogin waren durchweg jünger als Lucia. Zwei hatten gerade das vierzehnte Jahr vollendet, die dritte war sechzehn. Die drei kicherten nur miteinander herum.

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