Die Pestärztin
Verletzung bereitet habt! Ihr wart mir so nahe! Euer Streicheln, Euer Duft, wie Lilien am Morgen ...«
»Ich habe Euch mit Kampfer und Menthol eingerieben«, bemerkte Lucia trocken. »Beides riecht streng, Ihr könnt kaum einen anderen Duft wahrgenommen haben. Zudem Lilien nicht allzu aufdringlich duften.«
Sie brachte Dietmar damit kurz aus dem Konzept, aber dann verzog er sein Jungengesicht mit den tausend Lachfältchen zu einer zerknirschten Grimasse und versuchte es noch einmal.
»Verzeiht, meine Herrin, ich bin kein Dichter. Und Ihr erinnert mich auch gar nicht an eine Lilie. Es ist eher eine blaue Blume, die ich vor Augen habe, wenn ich an Euch denke, was ständig der Fall ist. Eine ... ja, eine Wegwarte, das ist es! Kennt Ihr nicht das Märchen von der Wegwarte? Ein Ritter liebte ein wunderschönes Mädchen, aber er zog in den Krieg und kam niemals zurück. Doch sie konnte es nicht glauben, wartete am Weg und verzehrte sich dabei vor Trauer. Bis ein Engel Mitleid mit ihr hatte und sie in jene blaue Blume verwandelte, die uns noch heute an ihre ewige Liebe mahnt!«
Lucia verdrehte die Augen. »Der Engel hätte ihr lieber ihren Ritter zurückbringen sollen«, bemerkte sie dann. »Was hat sie davon, dass sie jetzt als Blume am Wegrand steht?«
Dietmar grinste. »Aber das hat der Engel in Eurem Fall doch getan! Betrachtet mich als Euren vom Engel gesandten Ritter!«
Er küsste ihr die Hand, und als er sie immer noch lächeln sah, fasste er Mut, setzte sich neben sie und zog sie an sich. Lucia erwiderte seinen Kuss beinahe überrascht. Seit Clemens' Tod hatte sie keine zärtlichen Lippen mehr auf den ihren gespürt, und nun suchte Dietmars vorwitzige Zunge auch noch Eingang in ihren Mund. Sie wollte ihn zunächst abwehren, aber dann genoss sie den Kuss. Dietmar mochte kein Dichter sein, aber in anderen Liebesdingen schien er erfahren.
Er strahlte sie an, als sie sich voneinander lösten. »Ich sehe, das hat Euch gefallen, meine Herrin! Und ich kann nicht glauben, dass Ihr Euch auf der düsteren Burg des Fraunbergers lebendig begraben lasst! Kommt stattdessen mit mir, meine Herrin! Ich werde Euch rauben wie Lancelot einstmals Genevra! Und ich bin kein Ritter ohne Land, Lucia. Mein Vater hat mir ein Lehen versprochen. Natürlich wird es kein Fürstentum sein, eher ein Gutshof. Aber da wäret Ihr die geliebte Herrin! Mein Vater würde Euch voller Freude willkommen heißen, schon weil ich mit Euch endlich sesshaft würde. Es gefällt ihm nicht, dass ich als fahrender Ritter herumreise. Ihr braucht nur Ja zu sagen, Lucia!« Während er sprach, spielte er mit Lucias Händen, streichelte ihre Finger, zeichnete kleine Kreise auf die zarte Haut ihrer Handgelenke. Lucia ging Al Shifas Erzählung durch den Kopf, dass die Kurtisanen des Sultans sich die Hände mit Ornamenten aus Henna bemalten ...
Aber Dietmar von Thüringen wollte sie nicht als Kurtisane. Er bot ihr ein Leben als geachtete Gattin an. Ein paar Augenblicke lang verlor sie sich in Tagträumen von einem schmucken kleinen Landgut, von Heil- und Küchenpflanzen in ihrem Garten. Sie sah sich beim Schelten ihres tollkühnen Ehemannes, der die Kinder schon mit auf Wildschweinjagd nehmen wollte, und sie vermeinte, Leona mit einer Schar fröhlicher Geschwister spielen zu sehen ...
»Ich habe ein Kind!«, gestand sie dann. Das war nicht gerade ein Geheimnis, Dietmar hätte es eigentlich wissen müssen. Schließlich hatte er seine Schwester bestimmt nach Lucia ausgehorcht. Er wirkte denn auch nicht überrascht, sondern nur ein wenig unwillig.
»Das erschwert die Sache. Ich kann nicht gleich eine ganze Familie entführen«, bemerkte er. »Aber du kannst das Kind ja einfach hierlassen! Wenn wir erst verheiratet sind und unseren Hof haben, holen wir es nach!«
Für Lucia zerbrach der Traum in tausend Stücke. Es war unmöglich, Leona hierzulassen. Frau Margarethe würde all ihre Wut über das zweite entlaufene Mädchen aus dem Hause Oettingen an ihr auslassen; ganz sicher beließ sie das Kind nicht in Elisabeths sanfter Obhut. Eher übergab sie Leona dem Oettinger oder der kaltherzigen Äbtissin im Kloster. Sie würde das Mädchen auch kaum widerspruchslos herausgeben, sofern Dietmar überhaupt noch Interesse daran hatte, wenn Lucia erst seine Frau und womöglich mit einem eigenen Kind von ihm schwanger wäre. Und auch andere Teile des Traums wurden für Lucia plötzlich schwer vorstellbar. Vielleicht war es dem Herzog von Thüringen ja wirklich egal, welche Frau
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