Die Pestärztin
Lächeln.
»Keine Drachen, Heinrich, obwohl ein Bratspieß als Waffe den Lindwurm sicher verblüffen würde. Ich bitte dich nur um einen Botendienst. Lauf schnell in die Stadt, und suche meinen Gatten, Herrn Clemens. Er ist ...«
»Der Medikus? Der ist bei den Juden in der Apothekergasse«, sagte der Kleine, ohne zu zögern.
Clemens hatte inzwischen wirklich Patienten in der Stadt. Wie er auf seiner Reise mit Moses Kahlbach erfahren hatte, war der jüdische Arzt vor kurzem gestorben. Sein Sohn führte sein Geschäft weiter, war aber noch unsicher. Er hatte Clemens freudig in seiner Praxis willkommen geheißen, und im medizinischen Bereich, einer angestammten Domäne der Juden, war die Aufsicht der Obrigkeit auch nicht zu streng. Clemens und der junge Doktor behandelten sowohl christliche als auch jüdische Patienten.
»Meine Mutter war gestern bei ihm. Ich hatte ihn gefragt, was man gegen ihre Gicht tun könnte, und er hat sie zu sich bestellt. Ohne Geld von ihr zu fordern! Er sagte, was den Rittern recht ist, soll einer braven Bäuerin wohl billig sein!«
Lucia dankte dem Himmel für Clemens' gutes Herz, auch wenn sie sich im Stillen fragte, wie er sie und Leona auf diese Art ernähren wollte. Aber jetzt musste der Junge erst mal los.
»Sag meinem Gatten, er soll auf keinen Fall zurück zur Burg kommen, sondern bleiben, wo er ist. Er soll auf mich warten. Ich versuche es zu schaffen, bevor sie das Ghetto schließen. Es muss gelingen! Andernfalls ...«
Sie mochte sich nicht vorstellen, was geschah, wenn sie mit Adrian vor verschlossenen Türen stände. Ihr Plan war ohnehin riskant. Schließlich gehörten die Juden von Landshut nicht gerade zu ihren engsten Freunden ...
Lucia ließ ihr Maultier satteln und dazu den braunen Zelter, den sie früher oft geritten hatte. Die kleine Stute gehörte Elisabeths Tochter Agnes und war das sanfteste Geschöpf in den Ställen. Der Stallknecht wunderte sich, stellte aber keine Fragen. Der Mann war nicht dumm. Die vielen Monate der Heimlichkeiten rund um Elisabeths Ausflüge nach Landshut und Seligenthal, dazu die Gerüchte, die seit Ankunft der Frauen heute Mittag durch die Burg gingen ...
»Viel Glück, Frau Lucia«, wünschte er freundlich, als er ihr den Führstrick der Braunen in die Hand gab. »Wenn das Fräulein Agnes reiten will, werde ich ihr sagen, ich hätte ihr Pferdchen auf die Weide geschickt.«
Lucia dankte ihm ebenfalls. Sie wusste seine Fürsorge zu schätzen. Allerdings würde die kleine Agnes heute sicher nicht in die Ställe kommen. Wahrscheinlich übernahm Frau Margarethe gerade die Oberaufsicht über die Kinderstuben, und Agnes und die drei Jungen hörten zumindest gerüchteweise von der Schande ihrer Mutter.
Lucia trieb ihre Tiere rücksichtslos an, was die Zelter, die auf ruhigen Gang hin trainiert waren, bald ermüdete. Lucia kümmerte sich nicht darum. Im Gegenteil, je erschöpfter die kleine Braune war, desto ruhiger würde sie Adrian tragen.
Schließlich erreichte sie das Kloster zur Stunde der Vesper. Die Andacht hatte bereits begonnen; sie würde sich erneut beeilen müssen, Adrian in Sicherheit zu bringen, ehe das Gebet endete. Zunächst aber musste sie die Pforte allein passieren, wofür sie einen Schleier über ihr Haar und ihr Gesicht zog. Sie hatte vor, sich als Hofdame der Frau Margarethe auszugeben, die den Ritter ohne viel Aufhebens auf die Burg holen sollte. Natürlich stand diese Geschichte auf mehr als tönernen Füßen! Wenn die Pförtnerin sie nicht durchließ, sondern die Oberin aus der Messe holte, würde sie auffliegen. Die Ehrwürdige Mutter würde sich fragen, warum die Herzogin nur eine einzelne Frau schickte, statt eines Regiments von Wachsoldaten. Zumindest würde sie darauf bestehen, dass die Besucherin sich auswies, und auf keinen Fall würde sie den Ritter an Clemens' Gattin und Elisabeths Vertraute ausliefern! Lucia sah sich schon selbst in einer Klosterzelle festgesetzt. Frau Margarethe würde die Chance nutzen, sie als Mitverschwörerin anzuklagen und zur Aussage gegen ihre Freundin zu zwingen.
Immerhin war die Vesper gerade in vollem Gange. Die Pförtnerin war allein auf ihrem Posten und würde diesen verlassen müssen, sollte sie sich entschließen, die Oberin zu benachrichtigen. In diesem Fall plante Lucia, sich unerlaubt Zugang zum Kloster zu verschaffen. Aber dann musste wirklich alles blitzschnell gehen, und ob der immer noch schwer kranke Adrian das Tempo mithalten konnte, war mehr als
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