Die Pestärztin
Vereinbarung zwischen Elisabeth und der Oberin war ebenso klar wie gefährlich: Die Ordensfrau würde dem Herzog und seiner Familie den Aufenthalt ihres Ritters verschweigen. Lügen würde sie jedoch nicht!
»Ich bleibe hier«, sagte Lucia fest. »Frag mich nicht, aber ich habe ein schlechtes Gefühl. Und falls etwas passiert, hast du nichts davon, wenn ich in die gleiche Falle gehe wie du.«
»Aber wir sind Freundinnen!«, sagte Elisabeth verletzt.
»Und eine Freundin würdest du brauchen!«, gab Lucia zurück. »Eine Mitangeklagte hülfe dir nichts!«
Lucia erfuhr nie, inwieweit die Mutter Oberin oder eine der anderen Nonnen letztlich in Elisabeths Entdeckung verstrickt waren. Vielleicht machte eine der Ordensfrauen eine Bemerkung über Elisabeths mangelnde Frömmigkeit, oder jemand verriet, dass die junge Herzogin das Kloster in der letzten Zeit fast täglich besuchte, aber selten zur Andacht erschien. Vielleicht aber hatte Margarethe von Holland auch andere Quellen. Es mochte gut sein, dass sie einen Knecht oder ein Küchenmädchen dafür bezahlte, die Nonnen auszuspähen. Einem solchen Spion wäre Elisabeths Beziehung zu Adrian bis jetzt entgangen. Inzwischen jedoch tuschelte mit Sicherheit das ganze Kloster darüber.
Frau Margarethes Mädchen konnten Lucia jedenfalls von keinerlei Hinweisen berichten. Sie wussten nur, dass ihre Herrin die Herzogin während des Hochamts, an dem die Frauen diesmal teilnahmen, nicht aus den Augen ließ. Als Elisabeth aufstand und sich durch ihre Geheimtür entfernte, befragte sie die Oberin. »Es war ein Eklat!«, berichtete die klatschsüchtige kleine Gisela beeindruckt. »Niemand sonst hätte sich getraut, das Hochamt zu stören, aber sie wurde laut und zerrte die Ehrwürdige Mutter aus der Kirche.«
Die Klosterfrau machte dann wohl keine besonderen Versuche, Elisabeths Aufenthaltsort zu verschleiern.
Lucia konnte sich vorstellen, was für ein Sturm daraufhin über sie und das Kloster hereingebrochen war, aber davon wussten die Mädchen nichts. Ehrentraut - die Einzige, die ihre Herrin aus der Messe begleitet hatte - berichtete nur von lauten Stimmen aus dem Kontor der Oberin. Anschließend war die Herzoginmutter aus dem Raum gestürzt, hatte sich ins Gästehaus begeben, geführt von der Schwester Apothekerin, und dort eine Tür aufgerissen.
»Der Ritter lag in Frau Elisabeths Armen«, erklärte Ehrentraut, eine von jeher gute Erzählerin. »Er lehnte an ihrer Schulter, und beiden kicherten und lachten, während sie ihn mit Weintrauben fütterte. Dann küsste er sie, und sie teilten die Süße der Traube und die Süße des Kusses. Sie sahen so glücklich aus! Nie habe ich die Herrin Elisabeth so schön und sanft gesehen. Und der Herr Adrian ... ich sah ihn nur einmal kämpfen. Ich wurde am Tag des vorletzten Turniers auf die Burg gebracht. Aber damals war er ein strahlender Ritter, tugendhaft und minniglich ... und er wollte sie auch jetzt noch schützen, krank und schwach, wie er ist. Es war rührend. Aber natürlich schraken sie auf, als Frau Margarethe eintrat. Und die Herzoginmutter sah sie an ... einerseits voller Kälte, andererseits vergnügt wie eine Katze, die mit der Maus spielt. Sie sagte nur: Hure! Und der Ritter wollte etwas erklären und beschwor Frau Elisabeth, bei ihm zu bleiben und vielleicht um Asyl im Kloster zu bitten. Doch Frau Elisabeth stand nur auf und suchte ihre Sachen zusammen, und dann küsste sie ihn noch einmal. Ganz ruhig, ganz zärtlich, auf die Stirn. Ein Abschiedskuss, so, als wüsste sie genau, ihn nie wieder zu sehen. Er wollte aufstehen und ihr folgen oder mit ihr gehen, aber die Herzogin sagte: Ihr bleibt hier! Wie ein Bannspruch. Ich glaube nicht, dass jemand es geschafft hätte, sich ihm zu widersetzen. Der Herr Adrian war auch zu schwach. Er brach zusammen, als er das Bett verließ.«
»Was ist ihm passiert?«, fragte Lucia entsetzt. »Ist die Wunde wieder aufgebrochen?« Sie hoffte es nicht; die Operation war zehn Tage her, und Clemens sprach schon davon, die Seidenfäden zu ziehen.
Ehrentraut zuckte die Schultern. »Ich glaube nicht, aber Frau Margarethe ist dann ja auch gegangen, und ich natürlich mit ihr. Ich musste die Herzogin stützen. Als sie das Zimmer verlassen hatte, war es ... nun, sie brach nicht direkt zusammen, aber es sah doch aus, als hätte alle Kraft sie verlassen. Die Schwester Apothekerin hat sich dann um den Ritter gekümmert.«
Auf dem Weg zurück zur Burg waren nach Angaben der Mädchen nicht
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